Arndt Jasper
Götz Aly: Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen
Vollmilch und Vernichtung – Götz Alys gesammelte Feuilletons
Götz Aly genießt den Ruf eines Außenseiters der zeitgeschichtlichen Forschung. Die wissenschaftlichen Arbeiten des gelernten Journalisten entstanden parallel zu seinen Redakteurstätigkeiten für die TAZ und die Berliner Zeitung. Aus letzterer stammen auch die meisten der 27 Beiträge des Essaybandes „Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen“. Diese Position außerhalb des Wissenschaftsbetriebes erlaubten Aly die Erforschung scheinbarer Randphänomene des Nationalsozialismus.
In den achtziger Jahren beschäftigte er sich als Herausgeber der „Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik“ mit den Tätern der Euthanasie und den Planern der „Bevölkerungsökonomie“, die Konzepte für die koloniale Neuordnung Osteuropas vorlegten, welche die Verschiebung und Tötung von Millionen Menschen als Vorrausetzung wirtschaftlicher Rationalisierung vorsahen. Besonders in dem mit Susanne Heim verfassten Buch „Vordenker der Vernichtung“ wurde dabei die Ermordung der europäischen Juden lediglich als Auftakt der umfassenden Versuche einer Reduzierung und Neustrukturierung der Bevölkerungen unter deutscher Herrschaft gesehen. Dieser Interpretationsansatz wurde in der Folge dahingehend kritisiert, dass durch die Rekonstruktion der utilitaristischen Handlungsmotive der Holocaust theoretisch eingeebnet und lediglich als ein Moment im Gesamtprozess gesellschaftlicher Modernisierung darstellt würde.
In den neunziger Jahren verschob sich Alys Perspektive. Der Holocaust wurde in seinem Buch „Endlösung“ als Konsequenz des Scheiterns der „Umvolkung“ gesehen, des Versuches „Volksdeutsche“ aus Mittel- und Osteuropa in den annektierten polnischen Gebieten anzusiedeln. Der enge Konnex zwischen der Heim-ins-Reich-Politik, der Vertreibung der polnischen Bevölkerung und der Deportation der Juden in die Vernichtungslager wird beispielsweise in der Zuständigkeit Adolf Eichmanns für die mit den Ansiedlungen verbundenen „Räumungsmaßnahmen“ deutlich. Mit diesem Perspektivwechsel erwachte Alys Interesse an den „Volksdeutschen“, die er quasi als erste und letzte Opfer der demographischen Neuordnungspläne der Nationalsozialisten sieht: „Wenn auch mit völlig unterschiedlichen Methoden und in entgegengesetzte Richtungen wurden diese Arrayein Kampf´-Ausgaben in aller Stille zu entsorgen.“ (S. 188)
Vom Antisemitismus, von der Konstruktion der Juden als `Gegenrasse´ der deutschen Volksgemeinschaft, ist bei all dem nicht die Rede. Diese ist in Alys immer wieder variierten
r Annahme einer „Ökonomie der Endlösung“ nicht vorgesehen. Das sollte eigentlich nicht gerade eine ideale Empfehlung für die Übernahme der „Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung“ in Frankfurt a.M. im nächsten Jahr sein.
Götz Aly, Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen. Frankfurt a.M. (S. Fischer) 2003, 254 Seiten, 18,90 €