X. Jüdischer Widerstand und deutsche Gedenkkultur

Auch heute noch hält sich die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit jüdischem Widerstand in Grenzen. Der Großteil der Gedenkveranstaltungen wird bis heute von antifaschistisch orientierten Gruppen organisiert, doch auch selbsternannte Antifaschisten scheinen häufig davon getrieben zu werden, den jüdischen Widerstand für sich selbst zu reklamieren.
Das eigentlich selbstverständliche, dass es sich z.B. bei den Kämpfern des Warschauer Ghettoaufstands um Juden handelte, die von einem zur Vernichtung drängenden Antisemitismus verfolgt wurden, kann in der deutschen Rezeption von jüdischem Widerstand nicht vorausgesetzt werden. In einem Land, in dem selbst das historische Ereignis der Niederlage von 1945 nicht zu einer grundlegenden Bewusstseinsveränderung geführt hat, droht die Gefahr, dass der jüdische Widerstand gegen die Deutschen unter jeglichen realen und halluzinierten Widerstand gegen den Nationalsozialismus subsumiert wird. In der Missachtung der Besonderheit des jüdischen Widerstandes wiederholt sich zwar die Geschichte nicht, doch kommt ein antisemitischer Wiederholungszwang zum Vorschein, welcher nichts mehr herbeisehnt, als den jüdischen Widerstand für sich selbst zu reklamieren und diesen gegen die heute lebenden Juden zu wenden. Der jüdische Widerstand findet sich in der deutschen Gedenkkultur dann u.a. neben Stauffenberg wieder.
Die auf den ersten Blick sympathisch wirkende Vorstellung von Deutschen, die sich im Geiste mit jüdischen Widerstandskämpfern gegen ihre eigenen Großeltern verbünden, ist dabei aufgrund der nicht stattfindenden Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus besonders gefährlich. Nicht das Subjekt identifiziert sich mit dem jüdischen Kämpfer, sondern indem von dem jüdisch sein des Ghettokämpfers abstrahiert wird, findet es sich selbst wieder, in seinem eigenen Kampf gegen einen beliebig zu bestimmenden übermächtigen Feind. Den jüdischen Widerstandskämpfern widerfährt dabei ein weiteres Unrecht. Der jüdische Kämpfer wird einerseits noch einmal zum anonymen Opfer – indem man von seiner spezifischen Geschichte abstrahiert – und andererseits wird er zur Metapher degradiert, die sich von den Deutschen nach belieben besetzen läßt.
Was die Auseinandersetzung der Deutschen mit der Geschichte des jüdischen Widerstands eint, so sie denn überhaupt stattfindet, ist die beständige Weigerung, diesen als bewaffneten Widerstand gegen den eliminatorischen Antisemitismus zu thematisieren. Intuitiv scheint man zu ahnen, was es bedeuten würde, diese Tatsache anzuerkennen, nämlich sich die Frage nach der Legitimität von bewaffneten Widerstand gegen den Antisemitismus zu stellen. Solange aber die Kritik des Antisemitismus und die Solidarität mit den lebenden Juden in der deutschen Gedenkkultur keinen Platz hat, solange bleibt der Traum von Mordechai Anielewicz (Kommandant des Aufstands im Warschauer Ghetto) vom bewaffneten jüdischen Widerstand gegen den Antisemitismus ein deutscher Albtraum: „The main thing is the dream of my life has come true. I´ve lived to see a Jewish defense in the ghetto in all its greatness and glory.” (Mordechai Anielewicz)