Ingo Elbe
V. Recht und Staat im Marxismus. Die sowjetische Debatte auf dem Weg zum adjektivischen Sozialismus
Johannes Agnoli hat einmal die Negation des Staates und seiner Verfassung als eines der für ihn unverzichtbaren Elemente der Marxschen Theorie bezeichnet. Diese Negation sei Marx’ „Erbschaft, die er auf dem Weg hinterlassen hat“, diese Erbschaft „müssen wir antreten“. Der traditionelle Marxismus hat aber, als partei- und staatsoffizieller, dieses Erbe ausgeschlagen und sich statt dessen daran gemacht, aus der Marxschen Theorie eine proletarische Weltanschauung zu basteln und seine theoretischen wie praktischen Bemühungen auf das absurde Projekt eines ‚adjektivischen Sozialismus’ (‚sozialistische Warenproduktion’, ‚proletarischer Staat’ usw.) zu konzentrieren.
Der Vortrag soll anhand ausgewählter Positionen der rechts- und staatstheoretischen Debatte vor allem in der Sowjetunion die Entwicklung hin zu einer solchen Sozialismuskonzeption verfolgen, die nicht das Verschwinden der kapitalistischen Formbestimmungen, sondern ihre alternative Nutzung, nicht die Dechiffrierung der Reichtums- und Zwangs-Formen als historisch-spezifische, sondern ihre Naturalisierung auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Im Einzelnen soll in der Bewegung von Lenin zu Stalin sowie von Stutschka zu Wyschinski der Wandel der Rechts- und Staatsauffassung im Sowjetmarxismus hin zu einer blanken Affirmation und zynischen Vergötterung von Recht und Staat dargestellt werden. Es wird aber auch zu zeigen sein, dass mit dem Denken Eugen Paschukanis’ zumindest in der Frühphase der Sowjetunion auch ein lange Zeit – bis in die 1960er Jahre hinein – einzigartiger Versuch existiert hat, die rechts- und staatstheoretischen Implikationen der Marxschen Ökonomiekritik zu rekonstruieren und gegen die Orthodoxie des Marxismus-Leninismus und seine legitimatorischen Bedürfnisse geltend zu machen.
Vgl. auch "(k)ein Staat zu machen...?"