Franco Zotta
Die Unausdenkbarkeit der Verzweiflung
Zumutungen der Geschichtsphilosophie Immanuel Kants
Zusammenfassung: In seinen geschichtsphilosophischen Schriften entwirft Immanuel Kant die teleologische Vorstellung, dass die Menschheit „im Fortschreiten immer gewesen, und so fernerhin fortgehen werde “. Nur vordergründig scheint der von Kriegen und Katastrophen geprägte Weltenlauf dieser Vorstellung zu widersprechen. Denn die listige Natur vermag laut Kant den Progress zu garantieren, gerade weil sie sich der negativen Eigenschaften der Menschen bedient, um hinter ihrem Rücken den Fortschritt voran zu treiben. Der Beitrag zeigt, welche ungeheuren Zumutungen dieses mechanistische Geschichtsverständnis für endliche Subjekte mit sich bringt. Sie werden letzten Endes gezwungen, jedes Unrecht im Dienste einer höheren Logik passiv zu erdulden. Für ihre lebensweltliche Verzweiflung hat die Kantische Philosophie keinerlei Sensorium. Kants Geschichtsphilosophie ist demnach nicht, wie in der Sekundärliteratur zumeist behauptet, nur eine hoffnungsspendende gedankliche Lustreise. Ganz im Gegenteil propagiert sie ein Weltbild, an dessen Horizont das Martyrium droht. Und wer sich dagegen wehrt, verliert laut Kant zu Recht seinen Kopf.
Abstract: In his philosophy of history Immanuel Kant designs the teleological idea that humanity “always been in progress, and will go away so henceforth. ” This idea seems to contradict only superficially with the historical reality, characterized by wars and other (human) disasters. According to Kant, the cunning of nature is able to guarantee progress, precisely because nature uses these antisocial propensities of human beeings to promote the progress behind their back. The article shows that this mechanistic understanding of history holds enormous impositions for finite subjects. They are forced to endure passively every injustice in the service of a higher logic, guaranteed by nature herself. Kantian philosophy has no sensorium for the desperation of people who are victims of despotism and repression. His philosophy of history is therefore not, as often claimed in the secondary literature, only a hope-giving intellectual pleasure trip. Quite the contrary, it promotes a world view that propagates for victims the martyrdom. And anyone who fights against it, according to Kant rightly loses his head.
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(erschienen in: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie Bd. 1/Heft 1 2014)