Ingo Elbe
„Die Reinigung macht uns frei“
Karl Jaspers‘ Beitrag zur Herstellung der nationalen Schuldgemeinschaft durch Akzeptanz des Kollektivschuldbegriffs
Der Vorwurf einer „collective guilt“ der Deutschen für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges und der Shoah wurde bereits während des Krieges in alliierten Kreisen erhoben, hat sich aber nach 1945 nicht zu einer regierungsoffiziellen Position oder gar Politik entwickelt. Dennoch sind Auseinandersetzungen über eine deutsche Kollektivschuld nach Kriegsende – vor allem in Deutschland selbst – zum Dauerthema geworden, das zeigte das Wiederaufleben der aggressiven Abwehr des Topos im Rahmen der Goldhagen-Debatte. Die Kollektivschuld ist offenbar eine Vergangenheit, die nicht vergehen will. Sie will aus drei sehr unterschiedlichen Gründen nicht vergehen: Erstens, weil der Vorwurf wahr ist. Zweitens, weil der Topos den einen zur empörten Abwehr und zur Exkulpation großer Teile der deutschen Bevölkerung bezüglich ihres Engagements im NS dient. Drittens, weil er von den anderen dazu verwendet wird, um durch seine Akzeptanz eine ‚selbstbewusste‘ nationale „Schuldgemeinschaft“ zu konstituieren, die ihre eigenen Verbrechen als Argumente für zukünftige außenpolitische Machtansprüche verwenden kann.
zum Text
(erschienen in sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik, Herbst 2017 sowie in: Ingo Elbe, Gestalten der Gegenaufklärung, Würzburg 2020)