Ingo Elbe
Die falsche Versöhnung von Subjekt und Objekt
Hans-Georg Gadamers Hermeneutik zwischen Heideggerscher Provinz und postmodernem Historyland - Mit einem Epilog: Konservative Hermeneutik in Dipesh Chakrabartys postkolonialer Geschichtsschreibung
Was sind die Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens? Was tun wir, wenn wir verstehen? Oder ‚geschieht‘ etwas mit uns? Können wir der Tradition kritisch begegnen und diese besser verstehen als sie sich selbst oder behält sie eine fraglose Geltung jenseits aller Vernunftgründe? Fragen wie diese stehen im Zentrum der hermeneutischen Philosophie Hans-Georg Gadamers, die von Jürgen Habermas einmal als Projekt der „Urbanisierung der Heideggerschen Provinz“ bezeichnet wurde. (Habermas 1991, 392) Der Heidegger-Schüler Gadamer präsentiert die von ihm – indes gerade wegen ihrer „Bodenständigkeit“ gelobten (Gadamer 1993, 361) – Grundgedanken seines Lehrers in der Tat in einer für die deutsche Nachkriegsphilosophie zeitgemäßen Form, die freilich heute schon wieder veraltet wirkt. Dennoch steht Gadamers Denken exemplarisch für eine Variante des Ineinanders von Konservatismus und Postmoderne. Viele seiner Gedanken, auch wenn sie noch in einem humanistisch behäbig daherkommenden Jargon der Eigentlichkeit verfasst wurden, sind heute nach wie vor Gemeinplätze eines akademischen Irrationalismus, den Hans Krämer kritisch als „Interpretationismus“ (Krämer 2007, 215) und Zygmunt Bauman affirmativ als „interpretierende Vernunft“ bezeichnet hat. (Bauman 1995, 158)
zum Text:
(erweiterte Version des zuerst in sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik, Heft 16, Frühjahr 2020 erschienenen Aufsatzes)