Sven Ellmers
„Der Narzissmus wird gesellschaftsfähig.“
Subjektivierungspraktiken der Marktwirtschaft
Charakteristisch für die gegenwärtige Gesellschaft ist die konstitutive Rolle des Marktes. Vorbürgerliche Gesellschaften waren durch ein System von (familialer) Selbstversorgung und persönlichen Abhängigkeiten geprägt, weshalb sie Märkte nur als Randphänomen zuließen – ein Randphänomen, das durch Gebote der Tradition und Religion geprägt war. Bürgerliche Gesellschaften hingegen ersetzen die persönliche Abhängigkeit durch die sachliche Abhängigkeit privater Eigentümer. Märkte ergänzen daher nicht länger andere Produktionsweisen, sondern nehmen ihre Stelle ein. Geht man mit Aristoteles und Hegel davon aus, dass wir uns im alltäglichen Handeln weniger an kognitiv erschlossenen Prinzipien orientieren, sondern uns in erster Linie von Einstellungen leiten lassen, die wir durch soziale Routinen internalisiert haben, liegt die Vermutung nahe, dass Märkte auch unsere Persönlichkeitsmuster in einem viel stärkeren Maße prägen: Sie beeinflussen, wie wir uns selbst und unsere Mitmenschen wahrnehmen, was jeder von sich und anderen erwartet, wie wir uns selbst und unsere Mitbürger behandeln. Dieser Aufsatz wird zunächst dafür argumentieren, dass Märkte insbesondere narzisstische Einstellungen begünstigen – um im Anschluss zwei Möglichkeiten ihrer Begrenzung zu diskutieren.
A defining feature of contemporary society is the constitutive role of the market. Pre-bourgeois societies were characterised by a system of (familial) self-sufficiency and personal dependencies, which is why markets were allowed to become no more than a marginal phenomenon within them – a marginal phenomenon marked by the dictates of tradition and religion. By contrast, bourgeois societies replace personal dependence with the objective dependence of private owners. Markets no longer supplement other modes of production; instead they take over the position formerly held by the latter. If it is assumed, following Aristotle and Hegel, that we do not so much orient ourselves in our everyday transactions according to cognitively accessible principles, but rather allow ourselves to be directed in the first instance by attitudes that we have internalised through social routines, then it would seem reasonable to assume that markets also stamp our personality archetypes to a much greater degree: they influence how we perceive ourselves and our fellow human beings, what each of us expects of him- or herself and of others, and how we treat ourselves and our fellow citizens. This article will initially argue that markets especially foster narcissistic dispositions, and will then go on to discuss two possibilities for the limitation of markets.
Erschienen in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, Heft 44.1/2019, S. 5-25.