Andreas Harms

Warenform und Rechtsform

Paschukanis’ Rechtstheorie

Eugen Paschukanis gilt als einer der bedeutendsten "marxistischen Rechtstheoretiker" überhaupt. Aus diesem Grund habe ich ein Buch über sein erstmals 1923 in russischer Sprache erschienenes Hauptwerk "Allgemeine Rechtslehre und Marxismus" verfasst, und aus diesem Grund bin ich hierher eingeladen worden. Thema des heutigen Referats wird noch einmal Paschukanis’ Hauptwerk, die kritische Rezeption und die Elemente und Ursprünge aus der Marxschen Theorie sein. Damit und darüber hinaus ist auch die Frage der wertkritischen Anklänge in Paschukanis’ Kritik des bürgerlichen Rechts angesprochen und schließlich die Relevanz dieser Kritik für die sich wie auch immer verstehenden Linken heute.

Paschukanis war zum Teil ein klassischer, zum Teil ein nicht in diesem Sinne klassischer Arbeiterklassenmarxist. Seine Biographie lässt sich schnell zusammenfassen, sie wirft ein Licht auf Paschukanis als Traditions- und Parteimarxist. 1891 geboren war er sehr bald Mitglied der russischen Sozialdemokraten bzw. ihrer Jugendorganisation im zaristischen Russland. Daher musste er auch zeitweise in der Emigration leben, insbesondere in München, wo er wie zuvor weiterhin Rechtswissenschaften studierte. Während und nach der Oktoberrevolution wurde er nach seiner Rückkehr für die Bolschewiki aktiv. Er nahm akademische und bürokratische Führungspositionen ein, auch und gerade unter Stalin bis 1937. Er war Mitglied der Sozialistischen Akademie, später ab 1931 war er sogar Direktor des Instituts für Sowjetaufbau und Sowjetrecht innerhalb der Kommunistischen Akademie. 1936 befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er nahm die Position des Stellvertretenden Justizkommissars ein.

Obwohl er sich aufgrund seiner theoretischen Positionen - wie die These vom Absterben des Rechts im Sozialismus - zur Realpolitik deutlich im Widerspruch befand, fiel er im doppelten Sinne diese Wortes erst 1937. Er verschwand zunächst spurlos und wurde vermutlich vom sowjetischen Geheimdienst NKWD auf Betreiben von Andrej Wyschinski, dem späteren Ankläger der Moskauer Prozesse, ermordet.

Die andere, in diesen biographischen Daten nicht zum Ausdruck kommende Seite seines Wirkens, welche uns hier näher interessiert, ist sein Versuch, eine marxistische Rechtstheorie bzw. Rechtskritik zu formulieren, die wenigstens zum Teil jenseits des klassischen marxistischen Jargons stehen will. Ausgangspunkt seiner Thesen, die in Buchform erstmals 1929 in deutscher Sprache erschienen, ist die Frage, weshalb die gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus die Form von Rechtsverhältnissen zwischen Individuen - das ist zu betonen - untereinander annehmen. Anders formuliert, weshalb nimmt ein bestimmter Inhalt - hier eine auf Verwertung der Ware Arbeitskraft zur Selbstverwertung des Kapitals zielende Gesellschaftsformation - die Form des Rechts bzw. die Form rechtsförmig geregelter Beziehungen an.

Dabei ist Paschukanis unter heute nicht mehr anzutreffenden praktischen wie theoretischen Voraussetzungen angetreten, um seine Thesen zu formulieren. Marx hatte insbesondere in seiner vor allem als Polemik gestalteten Kritik des Gothaer Programms der Sozialdemokratie, die sich gegen bestimmte, als Parteiprogramm festgeschriebene Vorstellungen über die gesetzgeberische Herstellung von Gleichheit richtete, kursorische Anmerkungen über den Weg zum Kommunismus gemacht. In einer ersten Phase nach einer revolutionären Umwälzung muss - so kann Marx verstanden werden - das Maß der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich der Tausch von Äquivalenten noch erhalten bleiben. Dieses musste auch bedeuten bzw. so verstanden werden, dass die auch gesetzlich, d. h. staatlich legimitierte Entlohnung als Austausch von Äquivalenten in Form von Arbeitskraft und Subsistenzmitteln erhalten bleibt. Erst in einer zweiten Phase kann dann jeder nach seinen Bedürfnissen leben, also ohne den Zwang des abstrakten Maßes aus dem vollen Reichtum der gesellschaftlichen Produktion schöpfen: dies sollte der Kommunismus sein.

Diese kursorischen Aussagen von Marx hat Lenin in "Staat und Revolution" von 1917 aufgenommen und einen groben Weg für die konkrete Umsetzung gezeichnet. Er meinte - wahrscheinlich aus anderen Gründen nicht zu Unrecht, dass der Staat, wenn auch nicht die zaristische Verwaltung, aber doch ein einigermaßen moderner Staat erhalten bleiben müsse als gesellschaftliche Regulationsinstanz bis auf weiteres - bis zum Aufbau des Kommunismus. In den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution gab es trotz dieser Vorgaben bzw. Leitsätze ganz unterschiedliche Ansätze einen marxistischen Rechtsbegriff zu bilden bzw. das bürgerliche Recht zu kritisieren. Einerseits existierte ein Misstrauen gegenüber rechtlicher Regulierung überhaupt, dass bis zu einem anarchistischen Rechtsnihilismus reichte. So ist nach Goichbarg das Recht ein noch schlimmeres Opium für das Volk als die Religion. Andererseits erfuhren soziologische und psychologische Rechtsbegriffe einen Aufschwung, wie etwa die Vorstellung eines intuitiven Klassenrechts und dem Proletariat als rechtsetzende quasi spontan-legislative Instanz. Schließlich gab es die Versuche, eine Rechtstheorie originär auf Marx zu gründen bzw. auf die versprengten Aussagen zum Recht bei Marx. Marx hatte bekanntlich keine Rechtstheorie formuliert, was auch nicht wundern darf, da er - so zumindest mein Verständnis - die Kritik der politischen Ökonomie als umfassende Bestimmung und Entschlüsselung der Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden wissen wollte und damit das Recht als ein Phänomen dieser Totalität, aber nicht als eigenständige Entität.

Gegenstand und Methode

Paschukanis zählt zu denjenigen, die an Marx anknüpfen wollen, unterscheidet sich aber von anderen Marxisten bereits durch die oben genannte Fragestellung, weshalb dieser Inhalt jene Form annimmt. Er erteilt damit allen eine Absage, die im bürgerlichen Recht ein Klassenverhältnis bzw. Unterdrückungsverhältnis sehen wollen, welches nur bestimmten Interessen - im Kapitalismus denen der Produktionsmitteleigentümer - dienen soll oder kann. Es geht Paschukanis nicht darum, diesen oder jenen Inhalt der Norm als gesellschaftlich bedingt zu entlarven - wenn auch diese allgemeine soziologische Aussage zutrifft. Insoweit muss die Rede vom Klassenverhältnis zunächst einmal notwendig auf den Inhalt der bürgerlichen Rechtsnormen abstellen, nicht auf die Form. Denn wenn das bürgerliche Recht ein Klassenverhältnis statuiert, muss es mit seinen bestimmten Inhalten einen bestimmten sozialen Zustand stützen bzw. herstellen. Die Form hingegen ist auf den ersten Blick gleichgültig gegenüber den sich in den Inhalten widerspiegelnden Klassenverhältnissen. Paschukanis sieht vielmehr im bürgerlichen Recht die "ratio scripta der warenproduzierenden Gesellschaft".

Vom Methodischen aus betrachtet möchte Paschukanis die Grundbegriffe des Rechts, genauer gesagt die Grundbegriffe der damals populären Allgemeinen Rechtslehre aufnehmen und diese als unterbestimmte Begriffe kritisieren. Zu diesen Begriffen zählt er die Rechtsnorm, das Rechtssubjekt und das Rechtsverhältnis - diese Begriffe als für alle Rechtsfälle und Rechtsgebiete gültige Allgemeinbegriffe statuieren für ihn quasi die Rechtsform. Paschukanis will diese Grundbegriffe auf ihre Verhältnisse und Entstehung zurückführen. Dies gilt aber weder allein im ideologiekritischen Sinne, also als Entlarvung des falschen Scheins des Betruges, noch im Sinne von historischer Rekonstruktion der Rechtswissenschaft oder ihre Gegenstandes. Die Methode der Kritik will Paschukanis dabei in Analogie zu Marx’ sogenanntem Methodenkapitel aus der Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie herleiten. Dort scheint Marx seinen Ansatz einer sozialtheoretischen Methode vorzustellen, in teilweiser Abgrenzung zu Hegel eine Theoriebildung vom Gegenstand als Besonderem/Einzelnem zum Abstrakten/Allgemeinen aufzusteigen und von dort aus zur konkreten Totalität, unter der Marx die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre einzelne Elemente unter Darstellung aller Beziehungen und Verhältnisse versteht. Ohne sich näher an dieser Stelle mit den Marxschen Passagen auseinandersetzen zu können, lässt sich hier bereits feststellen, dass Paschukanis’ Verallgemeinerung dieser vorgeblichen Methode als Defizit beurteilt werden muss.

Paschukanis’ methodischer Ausgangspunkt lässt sich ebenso auf die Formel des Aufsteigens vom Einzelnen/Besonderen zum Abstrakt-Allgemeinen zur konkreten Totalität zusammenfassen. Dieses Aufsteigen will er anhand des bürgerlichen Rechts dadurch zur Darstellung bringen, dass er den Vorgang der Bewegung des Denkens vom Einzelnen/Besonderen zum Abstrakt-Allgemeinen bereits in der bürgerlichen sogenannten Allgemeinen Rechtslehre als vollzogen betrachtet. Über diesen ersten Schritt hinaus will er vom Abstrakt-Allgemeinen, das er in den oben genannten Grundbegriffen des Rechts erkennt, "aufsteigen" bzw. die Erkenntnisweise weiterentwickeln zur konkreten Totalität. Unter dieser versteht er nicht etwa eine Totalität der Rechtsbegriffe, sondern eine der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Paschukanis will also die abstrakten Grundbegriffe bestimmen und damit zugleich in einem gewissen Sinne dekonstruieren, indem er diese Begriffe auf die Totalität des gesellschaftlichen Seins projiziert. Vielleicht lässt sich diese Methode anhand der konkreten Darstellung bei Paschukanis beispielhaft beleuchten.

Auch bei seinem Gang durch die bürgerlichen Rechtsbegriffe beruft er sich auf eine Analogie zu Marx’ Werk. Zu Beginn des Ersten Bandes des Kapitals spricht Marx von der kapitalistischen Gesellschaft als ungeheurer Warensammlung. Etwas später dann beschreibt Marx die Subjekte als diejenigen, die den Waren ihren Willen verleihen, um den Austauschprozess auf dem Markt zu gewährleisten:

An dieser Umschreibung des Verhältnisses der Warenbesitzer zu den Waren setzt Paschukanis an und begreift die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer ungeheuren Warensammlung als Kette oder Netz von Rechtsverhältnissen. Erst das Subjekt, indem es als Rechtssubjekt auf dem Markt auftritt, gewährleistet den Warenaustausch. Paschukanis holt also die abstrakten Rechtsbegriffe Rechtssubjekt und Rechtsverhältnis zurück in die Kritik der politischen Ökonomie und bestimmt diese Begriffe anhand der sozialen Funktionen innerhalb einer noch zu bestimmenden konkreten Totalität. So kommt für Paschukanis den Subjekten deshalb "vom Gesetz her" Gleichheit zu, weil diese Subjekte jeweils die gesellschaftliche und normativ gesetzte Fähigkeit besitzen, mittels Verträgen oder anderen Willenserklärungen über die von ihnen behaupteten und äußerlich anerkannten Rechte zu verfügen. Dem Individuum kommt nach Paschukanis deshalb Freiheit zu, weil der Warenaustausch und dabei der Tauschakt als solcher, in ihrer Entscheidung freie Willenssubjekte voraussetzt. Ohne diese Voraussetzung wäre ein Markt nicht möglich. Paschukanis sieht im Warentausch auch die Ware Arbeitskraft. Diese muss jeweils zur freien Verfügung des Einzelnen stehen.

Aus diesem Grundschema einer sich gegenseitig bedingenden Rechtssubjektivität auf dem Boden des Warentausches entwickelt Paschukanis alle weiteren Begriffe in der Sphäre von Recht und Moral bis hin zum Begriff des Rechtsfetischismus. Dieser Rechtsfetischismus zeichnet sich durch die Zuschreibung eines gesellschaftlichen Verhältnisses zu einer Sphäre eines abstrakten Rechts des Einzelnen, dessen Fähigkeit, Rechte besitzen zu können, aus. Dies ist Paschukanis’ grundsätzliche Beschreibung des Gegenstandes.

Kritiken

Kritiken an Paschukanis hat es vielfach und aus allen Positionen gegeben. Marxisten-Leninisten warfen ihm vor, dass Moment der Herrschaft und den Sinn der Rechtsinhalte zugleich nicht zu beachten. Spätere insbesondere Neo-Marxisten - z B. Oskar Negt, zu dem ich gleich komme, nahmen Anstoß an seinem Rechtsnihilismus und der These vom Absterben des Rechts, ihre Haltung sahen sie mit der persönlichen Entwicklung von Paschukanis bestätigt, in seinem Aufstieg und Fall unter Stalin. Neukantianische Rechtsphilosophen sahen in Paschukanis’ Werk eine unzulässige Vermischung von Kausal- und Zweckwissenschaften bzw. eine Soziologisierung der Rechtstheorie, die das Moment des Normativen außer Acht lässt. Andere ergänzten diese Kritik rechtstheoretisch durch den Verweis darauf, dass Paschukanis eine Theorie des Zivilrechts geschrieben habe, aber keine des öffentlichen Rechts. In diesem nämlich werden nicht die Verhältnisse der Warenbesitzer untereinander behandelt, sondern das Verhältnis des Staats zum Einzelnen, das Verhältnis des Citoyen (Staatsbürger) im Gegensatz zum dem des Bourgeois (Bürger).

Wenn Oskar Negt noch in den 70ern bemängelt, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus stelle nicht den Produktionsprozess in den Vordergrund, welcher Negt zufolge ’ungleichen’ Tausch beinhaltet, sondern vielmehr den Äquivalententausch der Zirkulation, muss bei Negt ein Missverständnis vorliegen. Negt muss den Standpunkt eines gerechten Tausches der Ware Arbeitskraft einnehmen und unterliegt damit einem klassischen Fehlschluss. Er glaubt über verdeckte und nicht einfach zu durchschauende Produktionsvorgänge aufzuklären, die sich hinter einer verschleiernden Zirkulation verbergen. Damit jedoch reduziert er seine Analyse darauf, die Aneignung des angeblich aus der Produktion stammenden Mehrwerts als Kern der ’bürgerlichen’ Produktionsweise in Frage zu stellen und das Recht als diese Produktionsweise rechtfertigende ideologische Instanz zu klassifizieren.

Alle Kritiken scheinen eine Gemeinsamkeit zu haben: sie sehen im Recht ein normiertes Gewaltverhältnis, das in besonderer Weise ein geschlossenes Normensystem voraussetzt. Sämtliche Kritiken übersehen jedoch, dass die Trennung von Form und Inhalt, auf welche auch Paschukanis in gewisser Weise abstellt, nicht durchzuhalten ist, dass heißt, dass auch die Trennung von Citoyen und Bourgeois nicht aufrecht erhalten werden kann. Dieses meine ich im folgenden Sinne: Wenn die Form des Rechts, nämlich als bedingte und zugleich unbedingte Anweisung eines geschlossenen Systems gegenüber dem Einzelnen aufzutreten mit der Figur des Staatsbürgers identifiziert wird und der Inhalt des Rechts nicht als das jeweils Angeordnete, sondern als das gesellschaftliche Verhältnis zwischen den Bürgern, so verschmelzen Form und Inhalt des Rechts deshalb, weil der Inhalt der Regelung zugleich seine Form bedingt.

Paschukanis hat dabei eben die Besonderheit herausgearbeitet, dass es sich bei dem Inhalt des Rechts um einen Inhalt der warenproduzierenden Gesellschaft handelt, nicht um irgendeinen Inhalt, sondern um den der freien und gleichen Subjekte. Recht hat eigentlich notwendig diesen Inhalt, denn Recht ist für Paschukanis qua definitionem bürgerliches Recht, darüber spricht er - und nur am Rande über Privilegien und ähnliches als "Recht" des Mittelalters. Deshalb muss dieser eigentliche Inhalt des bürgerlichen Rechts auch formbildend sein, d. h. auch die Form der Normativität bedingen. Unter diesem Aspekt stellt sich dann heute die Frage nach dem Status dieser Rechts-Kritik.

Kapital und Rechtssubjektivität

Man kommt also nicht umhin, Marx’ Kritik der politischen Ökonomie wieder und wieder zu studieren. Marxens Begriff der "Charaktermaske" im Kapital deutet an, wie Marx den willensbegabten Menschen als gesellschaftlichen Funktionsträger innerhalb eines Konstitutionszusammenhanges versteht, der durch die warenproduzierende Arbeit gewährleistet wird. Vor diesem Hintergrund muss auch der Begriff des Subjekts dem Begriff der Ware strukturell adäquat sein. Subjekt und Ware stehen außerdem in einem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis. Dies lässt sich folgendermaßen umschreiben:

Der Teilnehmer des gesellschaftlichen Prozesses wird nur deshalb zum Subjekt als herrschendes und handelndes, sich die erkannten Objekte unterwerfendes Wesen, weil es sich seiner "eigenen" besonderen zu veräußernden Ware unterwirft. Dem Tauschwertcharakter der Ware wird er als Verkäufer nur gerecht, wenn er sich zur Charaktermaske des Gebrauchswerts stilisiert und sich in den objektiven Formzusammenhang des gesellschaftlichen Prozesses stellt. Dies darf man sich selbstverständlich nicht in dem Sinne eines Gegensatzes zwischen den Bedingungen struktureller Gewalt und dem freien Willensubjekt vorstellen. Beides fällt vielmehr zusammen. Sowohl der Arbeitskraftbesitzer ist Funktionsträger einer objektivierten Besonderung als auch der Geldbesitzer. Auf der zirkulativen Oberfläche erscheinen beide Personen als gleich-gültig im doppelten Sinne, auch wenn ihre Funktionen inhaltlich unterschieden sind. Der Verkäufer verhält sich aber zur Tauschwert-Ware ebenso gleichgültig wie die Ware in der Äquivalentform zu jeder anderen Ware. Und in analoger Weise gleich-gültig ist der Verkäufer gegenüber dem Käufer.

In Übereinstimmung mit Marx muss Paschukanis deshalb davon ausgehen, dass die Distribution der Güter in der kapitalistischen Produktionsweise nicht ungerecht sein kann, da das Äquivalenzprinzip eine Grundlage dieser Produktionsweise selbst ist. Diese erst definiert den Begriff der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist nicht der Standpunkt, von dem aus Paschukanis seine ’Kritik’ formuliert. Er zielt nicht auf eine Änderung von Verteilungsmaßstäben der Zirkulation und Distribution ab, sondern auf die maßstabsbildende Instanz selbst, die Totalität kapitalistischer Vergesellschaftung, den Wert. Diese Totalität wird durch die Grundbegriffe bürgerlicher Rechtstheorien - systemtheoretisch betrachtet also die Selbstbeschreibung des Systems Recht - nur unzureichend erfasst. Aber zurück zu Marx:

Marx nimmt in den Grundrissen den Begriff der Rechtssubjektivität vorweg. Er betrachtet dabei den Vorgang, sich um der Ware des anderen willen gegenseitig als Mittel zu setzen, als Ursprungsort aller faktisch gewährten Gleichheit und Freiheit sowie der entsprechenden idealen Ausdrücke. "Jedes der Subjekte ist ein Austauschender; d. h. jedes hat dieselbe gesellschaftliche Beziehung zu dem andren, die das andre zu ihm hat." [1] "Aus dem Akt des Austausches selbst ist das Individuum, jedes derselben, in sich reflektiert als ausschließliches und herrschendes (bestimmendes) Subjekt desselben. Damit ist also die vollständige Freiheit des Individuums gesetzt: Freiwillige Transaktion; Gewalt von keiner Seite; Setzen seiner als Mittel [...]." [2]

Marx betont im Verhältnis zu antiker und mittelalterlicher Vergesellschaftung, dass erst die moderne bürgerliche Gesellschaft ein solches Subjekt zu schaffen imstande ist, da in ihr die Ware Arbeitskraft allgemein wird und sich das Geldsystem vollständig entwickelt. Marx vergisst allerdings nicht, dem Austausch als nur ’einer Seite’, welche die bürgerliche Gesellschaft harmonisch erscheinen lässt, eine ’andere Seite’ gegenüberzustellen und die erste Seite damit zu relativieren. Mit dem Austausch und dem Tauschwert etablieren sich nach Marx notwendig auch die Kategorien des Kapitals und der Arbeit als "Inhalt" sämtlicher Tauschtransaktionen. [3] Diese relativierende Bemerkung von Marx weist darauf hin, dass er im Individuum des Austausches als Basis der Gleichheit und Freiheit in "juristischen, politischen, sozialen Beziehungen", insbesondere für die "Bestimmungen der juristischen Person" [4] lediglich ein Teilelement erkennt, von welchem aus komplexe gesellschaftliche Beziehungen rekonstruiert werden können.

Denn die ’Produktion’ als Akt der Naturaneignung mittels der Veräußerung von Arbeitskraft bedarf dieser Form, um überhaupt ’begriffen’ werden zu können - so muss man Marx’ Beschreibung weiterentwickeln. Die Produktion existiert nicht ohne ihre Darstellung und Vermittlung im Austausch. So darf die Zirkulation als ’Erscheinung’ des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit verstanden werden, ohne dazu eine (Hegelsche) Dialektik von Wesen und Erscheinung strapazieren zu müssen. Die Arbeit setzt das Subjekt als Form ihrer Vermittlung und damit die Kategorie des Rechts, welche also als eine der Zirkulation zu begreifen ist.

An dieser Stelle kann die Brücke zu Paschukanis’ Rechtsbegriff geschlagen werden. Der Begriff der Ware, welcher mit dem Doppelcharakter von Gebrauchs- und Tauschwert sowie mit dem Wertbegriff selbst gekennzeichnet werden kann, setzt gleichursprünglich den Begriff des Subjekts. Dies ist bereits als These die noch zu entfaltende Essenz von Paschukanis’ Theorem. Der Begriff des Subjekts ist weder durch die Handlungen einzelner empirischer Subjekte noch durch ihr Durchschnittshandeln bestimmbar. So entfaltet auch Marx den Begriff der Ware im Kapital nicht von der empirischen Ware aus. Er spricht zu Beginn des Kapitals nur vom Schein der "ungeheure[n] Warensammlung". [5]

Entgegen soziologistischen Missverständnissen, zu denen Paschukanis selbst Anlass gibt, soll auch nicht der einzelne empirische Mensch als komplex handelndes, psychisch und physisch konstituiertes Wesen Ausgangspunkt des Begriffs vom Rechtssubjekt sein, sondern vielmehr der Allgemeinbegriff des Subjekts der bürgerlichen Gesellschaft, der sich nur als Abstraktion darstellen kann. Diese Abstraktion entspringt nicht nur der begriffsbildenden Methode, vom Besonderen, Einzelnen und Individuellen dadurch abzusehen, dass Konkretionen ausgelassen und Allgemeineigenschaften definiert werden. Der Begriff des Subjekts abstrahiert sich vielmehr durch eine praktische Definition, indem die abstrakte, nur im Begriff sich darstellende Form mit einer praktisch-realen Handlungsform zusammenfällt. Das Subjekt bestimmt sich und wird seinem Begriff adäquat, weil es sich durch einen autonomen und in der Entscheidung formal freien Willen setzt und nur so bestimmen kann.

Unter Zirkulation ist dabei nicht volkswirtschaftlich beschränkt die Realität des Marktes oder des Tausches zu verstehen. Denn jegliche Handlung von Subjekten, die der Verwertung dient, also auch der private Konsum als Reproduktion der Ware Arbeitskraft selbst, vermittelt sich durch die Zirkulation, über den Tauschwert. Eine Unterscheidung von Produktion, Zirkulation, Distribution und Konsumtion ist daher nur beschränkt sinnvoll. Das freie und gleiche Subjekt fordert seine Bestimmung in jedem gesellschaftlichen Bereich ein, womit sich die Idee des Marktes verallgemeinern muss. Deshalb ist das Recht - auch als positiv-dinghaft im Gesetz erscheinende normative Aussage - verallgemeinerte Form besonderer Subjektbeziehungen. Das Recht erscheint als Sub- oder Teilsystem des Systems Gesellschaft bzw. als Teil der das Subjekt konstituierenden Struktur, der Markt dagegen als stabiles, zugleich aber sich selbst generierendes System mit austauschbaren Trägern.

Dies führt sowohl zum Begriff des Warenfetischismus als auch dem des Rechtsfetischismus. Marx spricht von der Ware als "sinnlich übersinnliche[m] Ding". [6] Diese Bestimmung leitet er aus dem Doppelcharakter der Ware, insbesondere aus dem Tausch der Arbeitsprodukte nach dem Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft - in abstrakt durchschnittlicher Zeitdauer - ab. Marx kann die Waren als "gesellschaftliche Dinge" bezeichnen, [7] da ihr gesellschaftlich notwendiger Austausch über die Einzelakte des Tausches hinaus ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis der Menschen zueinander manifestiert. Obwohl die Ware empirische Realität aufweist, werde ihr von den Akteuren - so Marx - eine Art "gesellschaftliche Natureugenschaft[...]" zugeschrieben. [8] Marx verortet in dieser falschen Zuschreibung die Problematik des Warenfetischismus. Erst in der einzelnen Ware materialisiert sich für ihn gesellschaftlich bestimmte Arbeit, und die Gesamtarbeit einer Gesellschaft wird dementsprechend von den Akteuren nicht als ein Verhältnis zwischen einer Vielzahl von Personen verstanden, sondern als eines einer Vielzahl von Sachen. Diese Umkehrung bzw. Verkehrung bezeichnet Marx als "Quidproquo", und so schreibt er mit Anklängen an das christliche Martyrium der Kreuzigung: "Indem sie (die Produzenten, A. H.) ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es." [9]

Hier lässt sich wiederum zu Paschukanis überleiten. Bereits mit der wissenschaftstheoretischen Kennzeichnung der Rechtskategorien als "objektiven Denkformen" versucht Paschukanis auch dem Wortlaut nach an dieses Marxsche Theorem notwendig falscher Erkenntnis anzuschließen (vgl. S. 61). Paschukanis begreift den Rechtsfetischismus als die sich im subjektiven Recht ausdrückende, in der Faktizität gültige Herrschaftssphäre der einzelnen Rechtsperson, welche dem Individuum als selbständige Eigenschaft zugeschrieben wird. In diesem Sinne wird dem Einzelnen als soziale und natürliche Einheit ein gesellschaftliches Phänomen zugeordnet, nämlich die Ausstattung des Warensubjekts mit Ansprüchen oder subjektiven Rechten. Darin vollzieht sich die strukturell gleiche Verkehrung wie bei der von Marx dechiffrierten Zuordnung der gesellschaftlich vermittelten Einzelarbeit zur Ware. Die Analogie zwischen Rechts- und Warenfetischismus als Hinweis auf eine strukturelle Identität vermag jedoch noch keinen konstitutiven inneren Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen zu begründen.

Schlussbemerkung

Paschukanis muss trotz seiner Anknüpfung an Marx eher als Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft und nicht als ihr Kritiker gesehen werden. Denn er thematisiert die Formprinzipien in den Handlungs- und Denkstrukturen nur immanent und befindet sich oftmals innerhalb dieser Prinzipien, da er die Arbeiterklasse zum geschichtsmächtigen Subjekt erhebt und damit einen Fortschrittsglauben nur vom Kapital auf die Arbeiterklasse als Kehrseite des Kapitals verlagert. Dies scheint sich auch in seiner Parteitreue und Affirmation des sozialistischen Staates und Rechts unter Stalin zu bestätigen. Noch vor der physischen Vernichtung opferte sich der Theoretiker Paschukanis einer besonderen Form der ’Verdinglichung’. Die ’wissenschaftliche’ Hoffnung auf ’Befreiung’ von Staat und Recht mußte der Herrschaft des bürokratischen Parteiapparates weichen.

Die bisherige Kritik des bürgerlichen Rechts insgesamt, soweit sie von links kam bzw. soweit sie sich auf marxistische Gesellschaftskritik bezog, richtete sich gegen die Form Recht als Durchsetzungsmittel kapitalistischer Interessen - insoweit kritisieren auch die "Rechten" die bürgerliche Gesellschaft und insbesondere ihr Recht, da es eben Ausdruck der Anerkennung des freien und gleichen Individuums unabhängig und relativ außerhalb eines Volkes/einer Volksgemeinschaft steht. Für aufgeklärtere Leute lautete dieses "abstrakte Kapitalinteressen" bzw. "Funktionsmechanismen der Wertverwertung" und der in diese geschichtsmetaphysisch einbezogenen kapitalistischen Wertvergesellschaftung.

Was bedeutet aber diese Kritik, wenn sie nicht nur auf die ungerechten Inhalte des Rechts abstellt, sondern auch auf die ungerechte Form im Sinne eines repressiven Elements der Funktionalisierung, Abstraktifizierung usw. Diese Kritik stellt auf das Subjekt ab, das Recht muss dem Subjekt gerecht werden - eine Forderung übrigens des jungen Marx, der sich in Abgrenzung zur Historischen Rechtsschule auf das Gesetz berief, welches dem Menschen zu dienen habe. Abgesehen von dem darin enthaltenen Anthropozentrismus wird damit nicht eine Kritik unternommen im Sinne einer Bestimmung des Unterbestimmen, also einer Bestimmung der Rechtsform als gesellschaftlich unbestimmtes und damit eigentlich gesellschaftlich Unbewusstes. Vielmehr wird das Besondere - das bürgerliche Subjekt - gegen das Abstrakte - die Systemzwänge des Geld- und Warenverkehrs ausgespielt. Es wird also nicht - wie man meinen könnte - die Form kritisiert, sondern sie wird mit dieser Kritik affirmiert. Ich meine aber es gilt für die Zukunft eine Formkritik erst noch zu entwickeln.

<doc78|left>

Andreas Harms – Warenform und Rechtsform