Christoph Hesse
Neue Medien, alte Scheiße
Bausteine zur Theorie der verschalteten Welt*
Seit man Marshall McLuhan einen Zukunftsforscher genannt hat, ist der Weg frei für allerlei
Medientheorien, die ihre Lagebeobachtungen in kunterbunte Science Fiction hinein verlängern.1 Die
These, daß wir vom alphabetischen in ein visuelles Zeitalter übergetreten seien (was übrigens
Filmtheoretiker wie Béla Balázs seit den zwanziger Jahren geäußert haben), ist noch die geringste und
deshalb selber hoffnungslos veraltet. Die Schlagworte nehmen bis heute kein Ende. Ihren Sirenen zu
entfliehen, tut man als steckengebliebener Aufklärer gut daran, sich Wachs in die Ohren zu stopfen, in
diesem Fall: die Position des naiven Weltgängers einzunehmen, dem das Medienuniversum so
überhaupt nichts sagen will. Das führt zu Beobachtungen, die immerhin die Medientheorie selber nicht
machen kann, da sie alles in der Welt, Geschichte und Zukunft einbegriffen, aus der
Zentralperspektive der digitalen Hypermedien durchmustert, dergegenüber jedes Außerhalb als
entweder schon darauf bezogen oder imaginär abgetan wird.
*erschienen in: Streifzüge, Nr. 1, 2002