Fabian Kettner

Elemente des Antiamerikanismus

„U – S – A ! U – S – A ! U – S – A !“
Homer Simpson

Rammstein wissen in ihrem neuesten Lied, America, was an den USA zu kritisieren ist: dass sie den Globus kulturell verheerten und vereinheitlichten. Alle Völker, Ethnien und Rassen hingen am Tropf der US-Kultur, Buddhisten essen Burger, der Moslem in der Wüste zieht die Nikes aus, bevor er den Gebetsteppich betritt usf. Die kulturelle Vielfalt, im Video so schön warm ausgeleuchtet und coloriert, werde durch den Einfluss der USA abgeschafft.
Morrissey weiß in seinem neuesten Album, Morrissey, you are the Quarry, was an den USA schlecht sei: dass sie so unperfekt sind wie alle; dass sie nicht so perfekt sind, wie andere nichtmals anstreben, es zu sein; dass es nicht „the land of the Free“ sei, weil „the President is never black, female or gay / and until that day / you’ve got nothing to say to me”. Weil Zugehörige bestimmter sexueller Präferenzen, die i.ü. in den Ländern, für die die USA der Todfeind sind, wegen dieser Neigungen gesteinigt oder verstümmelt werden, in den USA noch nicht Präsident geworden sind (sondern dort ‚nur’ sehr erfolgreich ihre Rechte sich erkämpfen können), deshalb weiß Morrissey aus old Europe („Irish blood, English heart“), „where you can shove your hamburger“. Die USA sind Teil einer weltweiten Malaise, aber sie müssen als deren Ausbund herhalten.

Damit hat man die Elemente des Antiamerikanismus schon fast beisammen. Die Facetten dieses Ressentiments sind bekannt, denn es ist Allgemeingut; seine Kulturgeschichte findet sich dargestellt bei Dan Diner. Menschen, die Pampigkeit aus Mangel an Souveränität mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit verwechseln, schimpfen über ‚amerikanische Oberflächlichkeit’. Minderwertig und nur auf Geld aus seien die die Volksgesundheit schädigende Ernährung und die kulturelle Produktion. „Hollywood“ ist ein anderes Wort für Schein und Schund. Die ‚amerikanischen Verhältnisse’ stehen für wachsende Kriminalität und Gewalt, für soziale Kälte und Rücksichtslosigkeit, für Bildungsmisere und Dummheit. Weil in Amerika, dem „monetaristischen Weltzentrum“ (Langthaler & Pirker, 129f.), alles dem Geld anheim gegeben sei, verfalle die Gesellschaft und breite ihr Einfluss sich global aus. Antiamerikanismus tritt als Einspruch gegen Missstände auf, die angeblich von den USA ausgehen. Die „amerikanische Kosumideologie“ (121) errichte eine „US-Fremdherrschaft“ (130). „Hollywoods alles durchdringende kulturelle Uniformierung“ (121) ersticke die Eigenheiten der Völker.

Antiamerikanismus ist enorm weit verbreitet, in allen Schichten (besonders aber in den gebildeten) und in allen gesellschaftlichen Lagern. Er ist in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer allgemeinen Geisteshaltung geworden, einer „Mentalität“ (Diner, 25), zu einem Reflex, einer „mentalen Chiffre“ (33). Wie jedes Ressentiment weiß er stets Fakten für seine Weltanschauung anzuführen, bleibt von ebendiesen Fakten aber unberührt, sobald sie ihm nicht ins Konzept passen. Wilhelm Langthaler, österreichischer Friedensaktivist, wann immer es gegen die USA geht, und Werner Pirker, notorischer Antizionist bei der jungen Welt, versammeln alles, was der linke Antiamerikanismus hergibt. Auch sie wollen „an Hand von Fakten belegen“, „wie verheerend sich die Segnungen der amerikanischen Zivilisation auf die Mehrheit der Weltbevölkerung auswirken“ (L&P, 7). Bei ihnen aber (und nicht nur bei ihnen, auch wenn Langthaler & Pirker eine extreme, nahezu pathologische Form des Anti-Amerikanismus vertreten) zeigt sich, wie die antiamerikanischen Ressentiments „zu einem in sich schlüssigen, welterklärenden System werden“ (Vorwort in Amerika, 9)

„Die Wahrheit über Amerika ist das Geheimnis, das jeder kennt“ (11). Das, was an den USA kritisiert wird, sind allgemeine Entwicklungstendenzen und Erscheinungen des Kapitalismus. Für sie werden aber die USA verantwortlich gemacht. Antiamerikanismus ist, so Diner, ein „ideologisch befrachteter Rationalisierungsversuch, die unübersichtlich gewordenen Lebenswirklichkeiten und Lebenswelten durch projektive Schuldzuweisung an den definitiv Anderen erträglicher zu machen.“ Das, was auch der eigene gesellschaftliche Zusammenhang zwangsläufig hervorbringt, wird abgespalten und auf die USA projiziert. Sie dienen so als „Projektionsfläche für die geschmähten und exorzierten Anteile der Zivilisation“ (35f.). Die USA stehen für den „ungezügelten Kapitalismus“ (L&P, 92), gegen den man selber eine gemäßigte Form propagiert.
Natürlich bedarf das Kapitalverhältnis immer handelnder Subjekte, die es erweitert reproduzieren, - aber die Art und Weise, wie es funktioniert, ergibt sich nicht aus dem Dasein seiner Akteure, sondern aus seinen unpersönlichen Gesetzen. Trotzdem werden die USA als die Personifikation dieser Gesetze an den Pranger gestellt. Auf die kürzeste Form gebracht: der Antiamerikanismus kritisiert nicht die Form des Kapitalverhältnisses, sondern immer nur einen spezifischen Inhalt, innerhalb der allgemeinen Form, die selber unangetastet bleibt. Damit ist er nichtmals eine falsche Kapitalismuskritik, sondern gar keine. Und darüberhinaus ist er die theoretische Antizipation der barbarischen Krisenlösung anstatt einer emanzipativen: zuerst die Aufspaltung des Kapitalverhältnisses in einen guten und in einen schlechten Teil, dann die Konkretisierung des schlechten Teils und schließlich dessen Bekämpfung als wahnwitzige Ersatzleistung.

Mit dieser allgemeinen Bestimmung seines Mechanismus ist seine Verwandtschaft mit dem Antisemitismus offensichtlich: der Jude spielt im Antisemitismus dieselbe Rolle wie die USA im Antiamerikanismus. Beide Ideologien weisen erstaunlich „affine Bilder und Metaphern“ (Diner, 33) auf.:
Die Juden wie die USA strebten nach Weltherrschaft und zerstörten dabei die Welt. „Der autoritäre Alleinvertretungsanspruch der USA auf die menschheitlichen Geschicke“ (L&P, 122) praktiziere rücksichtslos den „American way of life, bis die Welt in Ruinen liegt“ (51).
Die Gemeinsamkeit geht über strukturelle Ähnlichkeiten der Ideologie hinaus. Die USA würden von Juden beherrscht, besonders die Ostküste sei von ihnen durchsetzt. Die Juden kontrollierten in den USA in besonderem Maße die Medien und die Banken. Ihr Verhältnis zueinander wird variabel bestimmt: sowohl kann Israel auf die USA zurückgeführt werden, der „Zionismus“ gilt dann „als Vorposten Amerikas in der Region“ (88f.); aber auch umgekehrt können die USA unter ‚zionistischem’ Einfluss zu Israel mutieren, indem, „unter dem Deckmantel der Errettung vor dem Faschismus, ... der Zionismus den Amerikanismus seinerseits in die Negation der Aufklärung“ steigert (98). Auch die Amerikaner sähen sich durch einen „heute in den USA weit verbreiteten christlichen Zionismus“ (was immer das sein mag) als „das ‚auserwählte Volk’“ (136).
Wie den Israelis gegenüber den Palästinensern, so wird den USA weltweit nazi-ähnliches Vorgehen vorgeworfen. Beide hätten sich als Nachfolger der Nazis qualifiziert. Die „Reichslenker in Washington“ (96) führten einen „Blitzkrieg“ (92), mit dem sie eine „Unterordnung der Herden- unter die Herrenvölker“ (125) beabsichtigten. Der Faschismus, so wissen Linke in Anschluss an Georg Lukács, finde „im Amerikanismus seine sublimierte, zivilgesellschaftliche Fortsetzung“ (141). Der US-Imperialismus verfolge „zwar eine andere ökonomische Strategie, die sozialdarwinistische Selektion ist aber nicht minder grausam“ (138). Hierin sieht Diner eine „neue Dimension des Antiamerikanismus“ (140), der eine „projektive Entlastung“ (138) betreibt: man will sich mit Deutschland identifizieren – dies geht nicht wegen des Nationalsozialismus – also müssen auch andere so schlimm sein, am besten die, die einem den geliebten „Führer“ genommen haben und am besten die, denen man nicht verzeihen kann, dass man sie fast vernichtet hat. Der beliebte Verweis auf den ‚Völkermord’ an den Indianern wie an den Palästinensern, deren Schicksal einem Deutschen (wie das Dutzender anderer Menschengruppen) ansonsten herzlich egal wäre, wird hierfür instrumentalisiert.
Wie beim Antisemitismus, so sind sich beim Antiamerikanismus Linke und Rechte einig; er stellt eine Volksfront her. Die Geschichte dieses Ressentiments ist lang und stets war es auf Seiten der Reaktion zu finden – spätestens bis 1945. Da kam es zu einer Verwirrung, und die Jungen, die Linken, übernahmen die Rolle der Amerikahasser. Denn ihre Eltern mochten die „Besatzer“ zwar auch nicht, waren aber mit der alten, nun reformierten Autorität assoziiert. Diesen Verrat machten die Jungen nicht mit und hielten dem Deutschen die Treue - als Linke. Am Antiamerikanismus lässt sich zeigen, wie die deutsche Linke ein Selbstmissverständnis war, eine Irrung, den der deutsche Volksgeist zu gehen hatte, um sich selbst treu bleiben zu können. Die Linke von 1968ff. war Deutschland um ca. dreißig Jahren voraus, und erst jetzt, da sie sich offen als Deutsche bekennen, erst jetzt, da sie die Konservativen mit sich ziehen, zeigt es sich, wie sehr sie immer schon zu Hause waren.
Beide Ideologien sind „sich selbst genug.“ Beide verschließen sich „dem rationalen Kalkül einer kapitalistischen Verwertungslogik ..., selbst wenn [sie] innerhalb [ihrer] eigenen Logik höchst funktional und rational erschein[en]“ (Vorwort in Amerika, 14) und haben deswegen „die Tendenz, sich gegen die Interessen [ihrer] Protagonisten zu richten“ (ebd., 9).

All dies sieht Michael Hahn auch. Auch er resümiert die Geschichte des Antiamerikanismus, geht aber nicht über Diner hinaus. Sein Sammelband bietet eine nützliche Übersicht über Antiamerikanismus in der Gegenwart: bei KPD und SED (Thomas Haury), in Ostdeutschland und bei der PDS (Ivo Bozic), bei den no globals (Christian Stock), in Frankreich (Bernhard Schmid) und in Lateinamerika (Mary Kreuzer & Wolf-Dieter Vogel).
Auch wenn Hahn weiß, dass Antiamerikanismus „nicht eine besonders weitgehende Form der Kritik ist, sondern gar keine“ (18), so möchte er aber doch klären, „wie sich solche Ressentiments von begründeter Kritik trennen lassen“ (8). Dazu trägt er nichts bei. Dafür darf, mehr noch als Hahn, Frank Illing sein Misstrauen gegen die Kritiker des Antiamerikanismus äußern. Diffus behauptet er, der Begriff „Antiamerikanismus“ sei „zu diffus“ (109). Er möchte vor „einigen vorschnellen Gleichsetzungen von europäischem Antisemitismus und Antiamerikanismus“ (95), sowie vor einer Amerika-Verklärung warnen, allerdings ohne diese namhaft zu machen, - wie so häufig bei den Kritikern der Antideutschen.
Der gemäßigten Kritik am Antiamerikanismus geht es nicht um die Gefährlichkeit der ideologischen Form an sich, sondern um deren spezifischen Inhalt. Hahn kritisiert am Antiamerikanismus vorrangig, dass dieser die „Begleitmusik zum Aufstieg und zur neoliberalen Zurichtung eines eigenen europäischen Machtblocks“ (13, vgl. 155) sei. Er halte sich selber für radikal, gehe aber „in Wirklichkeit konform mit der neuerdings von den Massenmedien und Regierenden vorgegebenen Distanz zu den USA und mit deutschen Großmacht-Ansprüchen“ (24). Das ist richtig, aber eben nur ein Aspekt – und nicht der schlimmste. Auf ihn versteift sich Hahn aber. Linke Kritik an den USA müsse „immer die Konkurrenz EU-USA mit reflektieren“ (157). Was aber wäre, im Umkehrschluss, wenn es in der EU nichts zu kritisieren gäbe? Wäre dann der Anti-Amerikanismus weniger schlimm? Wenn Hahn festhält, dass „eben weil Antiamerikanismus in der BRD immer auch das ‚Streben nach Souveränität sei, dieser deswegen „für Linke keine legitime Option sein“ könne (49) – spricht dann aus ihm ein verantwortungsbewusster linker Deutscher, der weiß, dass er „zuallererst die eigenen Verhältnisse“ anzugreifen habe (161) – weil er aus Deutschland kommt? Was aber macht man, wenn man vor der eigenen Tür gekehrt hat? Dann kommen die anderen Türen dran. Dies macht deutsche Politik mit Vergangenheitsbewältigung aus Verantwortung qua Herkunft seit Jahren vor.

In der Gegenwart kann der Antiamerikanismus am „War on Terror“ andocken. Die Weltbeherrschung könnten die USA nicht nur indirekt über kulturelle Entfremdung erreichen, sondern auch direkt, per militärischer Macht. Bekannterweise treten die USA „das Völkerrecht mit Füßen“ (L&P, 29) - im Gegensatz zu anderen Staaten, die nichtmals die Bürgerrechte verletzen, weil sie keine haben. Sie stünden mit ihrem „Kreuzzug einer fundamentalistischen protestantischen-zionistischen Gruppe“ (111) dem „objektiven Menschheitsbedürfnis nach Frieden“ (65) entgegen. Den „Befreiungsdemokratismus der Volksmassen“ (90) sieht der Friedens- und Demokratiefreund Langthaler, der i.ü. als Leiter der Antiimperialistischen Koordination (AIK) Österreichs fleißig Geld sammelte für den ‚irakischen Widerstand’ gegen die USA, - also damit marodierende Banden von Saddam Hussein-Anhängern und eingesickerten Taliban-Kämpfern Bombenanschläge auf GIs wie auf die irakische Zivilbevölkerung verüben, die Ölförderung sabotieren und somit die Armut verlängern, die nicht-irakische Angestellte entführen, um ihnen den Kopf abzuschneiden usf. - den sieht Langthaler bspw. in den „gärenden arabischen Emanzipationsbestrebungen“ (92). - Über die neueste Friedensbewegung unterrichtet Thomas von der Osten-Sacken in dem Sammelband Amerika.
Im Gegensatz zu Langthaler & Pirker, die in den USA und nicht im Islamismus die Verdichtung der „äußersten gesellschaftlichen Reaktion“ und „die Negation der großen Emanzipationsbewegungen“ (7) sehen (obwohl dieser das explizit sagt), hegen die Autoren des Bandes Amerika Hoffnung. Nämlich auf einen Wechsel in der US-Außenpolitik, die Christian Knoop, Barry Rubin und Stephan Schwartz unter verschiedenen Blickwinkeln darstellen und damit von antiamerikanischen Verzerrungen befreien.
Den USA wirft man Heuchelei vor, weil sie nun die bekämpfen, die sie früher unterstützten und weil die humanen Gründe bei militärischen Interventionen nur vorgeschoben seien. Dass gerade dieser Kurswechsel vernünftig ist und die selbst verursachten Fehler der Vergangenheit zu korrigieren sucht (Woeldike & Osten-Sacken, 30, Uwer, 245f.), sprich die islamistischen Terrorbanden bekämpft, die man früher nutzte, das kann man in Deutschland nicht verstehen, wo „mehr als der unmittelbare politisch-ökonomische Nutzen ... der Glaube an die Richtigkeit des beschrittenen Weges“ zählt (Beier, 49) und wo man sich der arabischen Region als Alternativpartner anbietet (Grigat, 145). Dass „niemand, und die amerikanische Regierung zuletzt, in Zweifel“ zieht, „daß Politik handfeste Eigeninteressen verfolgt“ (Uwer, 212), dass das positive praktische Resultat zählt und nicht die Lauterkeit der angegebenen oder tatsächlichen Motive (so bei Bernd Beier, Uli Krug & Bernd Volkert, Elliot Neaman, Thomas Uwer), dass der Weg nicht das Ziel sein muss, wie die deutschen Friedensfreunde von Gandhi gelernt haben, das wird hier, in diesem Land der kategorischen Gesinnungstreue und der gnadenlosen Konsequenz bis in den götterdämmerischen Untergang hinein, unverständlich bleiben.

Dank an Stephan Grigat (Wien & Tel Aviv) für einige Hinweise.

DAN DINER: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments
ca. 230 Seiten. Euro 20,00
München: Propyläen, 2003 (erweiterte Neuauflage von Verkehrte Welten (Eichborn, 1993))
ISBN 3-549-07174-4

MICHAEL HAHN (Hg.): Nichts gegen Amerika. Linker Antiamerikanismus und seine lange Geschichte
ca. 200 Seiten. Euro 15,00
Hamburg: Konkret Literaturverlag, 2003
ISBN 3-89458-225-1

WILHELM LANGTHALER & WERNER PIRKER: Ami go home. Zwölf gute Gründe für einen Antiamerikanismus
ca. 120 Seiten. Euro 9,90
Wien: Promedia, 2003
3-85371-204-5

THOMAS UWER, THOMAS VON DER OSTEN-SACKEN, ANDREA WOELDIKE (Hgg.): Amerika. Der „War on Terror“ und der Aufstand der Alten Welt
ca. 320 Seiten. Euro 17,50
Freiburg i.Br.: ça ira, 2003
ISBN 3-924627-81-9