Joachim Perels
Die Restauration der Rechtslehre nach 1945
Nach der militärischen Niederwerfung des nationalsozialistischen Terrorstaates wurde der weitüberwiegende Teil seiner Trägerschichten in der Justiz und in den juristischen Fakultäten in die neu konstituierte demokratische Verfassungsordnung Westdeutschlands übernommen. Daß dies die Entwicklung demokratischen Rechtsdenkens mit einer strukturellen Hypothek belastete, rückte kaum ins allgemeine Bewußtsein. Zwar existieren einige nützliche Detailuntersuchungen zum Problem der personellen Kontinuität der juristischen Funktionselite des Dritten Reiches und zur Frage der Kontinuität einzelner Rechtskonstruktionen im öffentlichen Recht und Arbeitsrecht. Es fehlt aber eine Gesamtanalyse, welche die aus diesen Kontinuitätsstrukturen folgenden Konsequenzen für die Ausbildung eines umfassenden bürgerlich-restaurativen Rechtsbegriffs und einer ihm entsprechenden Rechtspraxis systematisch behandelte. [...]
Wesentlich vier unterschiedliche, aber zusammenhängende Momente machen die Totalität [des] restaurativen Rechtsbegriffs aus:
Zum einen werden Konstruktionen entworfen, die zu verhindern suchen, daß es zu einer Diskontinuität zwischen dem Staatsapparat der NS-Diktatur und der neukonstituierten Demokratie kommt (I);
zum andern werden Exkulpationslehren entwickelt, welche die Beteiligung bürgerlicher Funktionsgruppen (Richtern und Ärzten) an der Terrorpraxis des NS-Staates in weitem Maße der Ahndung zu entziehen vermögen (II);
sodann werden die in der Verfassung der Bundesrepublik festgelegten rechtsstaatlichen, durch politische Freiheitsrechte gesicherten Begrenzungen der Staatsgewalt zur Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten auf den »inneren Feind« interpretativ gelockert (III);
parallel dazu werden schließlich Argumentationsmuster eingeführt, durch die Verfügungen des demokratischen Gesetzgebers über die gesellschaftlichen Grundlagen — also die legale Überwindung der das NS-System fundierenden ökonomischen Ordnung — erschwert, ja tendenziell ausgeschlossen werden können (IV).
(zuerst veröffentlicht in: Kritische Justiz H.4/1984, S.359-397; wiederveröffentlicht in: J. Perels, Demokratie und soziale Emanzipation, VSA, Hamburg 1988)
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