Gruppe Magma
Die KPD und der Nationalismus
Die KPD in der Weimarer Republik konnte vermutlich nicht ahnen, daß faschistisches Gedankengut in Deutschland auf dermaßen breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen würde. Dennoch mutet der nahezu unerschütterliche Glaube der KPD an revolutionsbereite Volksmassen angesichts der realen Entwicklung befremdlich an. Der zunehmenden autoritären Entwicklung in der Weimarer Republik wurde schließlich durch die offene faschistische Diktatur die Krone aufgesetzt. Den Nationalsozialismus jedoch interpretierte die Partei stets als der Bevölkerung aufgezwungen und nicht als von ihr mitgetragen. Als die faschistische Bewegung entgegen allen Annahmen der Partei jedoch stark zunahm, stand die KPD vor einem Dilemma. Mit der Möglichkeit einer solchen Massenbasis hatte sie nicht gerechnet. Zwar galten insbesondere das Kleinbürgertum und die Bäuerinnen und Bauern als anfällig für die NS-Propaganda. Dennoch schien es undenkbar, daß ein derart großer Teil der Bevölkerung gegen seine eigenen - die KPD sprach von "objektiven" - Interessen handeln würde. Wenn die Massen es jetzt doch taten, mußten sie folglich fehlgeleitet und manipuliert sein. Jedenfalls war es für die Partei eine ausgesprochen bittere Erfahrung, daß die Nazis einen derart dramatischen Zulauf verzeichnen konnten - noch dazu von Menschen, die die KPD neben der Arbeiterklasse stets als ihr Potential ansah.
Zwar gibt es genügend Hinweise darauf, daß der Partei bewußt war, wie sehr Nationalismus dazu dient, Klassengegensätze und Interessenunterschiede zu kaschieren. Dennoch setzte sich in der KPD recht früh ein Kurs durch, den man als "nationalen Kommunismus" bezeichnen muß. Gemeint ist damit "eine Politik, die in Theorie und Praxis eine Adoption nationaler bzw. nationalistischer Wertvorstellungen erkennen ließ" [1]. Diese seltsame Auslegung des Marxismus wurde zum ersten Mal 1923 formuliert; besonders nachdrücklich fand sie jedoch gegen Ende der Weimarer Republik Anwendung.
Karl Radeks "Schlageter-Rede"
1923 hielt Karl Radek auf einer Sitzung der erweiterten Exekutive der Komintern ein Referat, das später als Schlageter-Rede in die Geschichte einging. Schlageter [2] war, so Radek, ein "deutscher Faschist [...], der zum Tode verurteilt und erschossen wurde von den Schergen des französischen Imperialismus" [3]. Mit der Würdigung des "mutigen Soldaten der Konterrevolution" verband sich das Ziel der Rede, den Weg zur Zersetzung der faschistischen Bewegung zu finden und die Annäherung von Angehörigen des Mittelstands an die Arbeiterklasse zu erleichtern. Als Vehikel sollte dabei der Appell an deren "nationales Empfinden" dienen:
"Will Deutschland imstande sein, zu kämpfen, so muß es eine Einheitsfront der Arbeitenden darstellen. [...] Die Sache des Volkes zur Sache der Nation gemacht, macht die Sache der Nation zur Sache des Volkes. [...] wir glauben, daß die große Mehrheit der national empfindenden Massen nicht in das Lager des Kapitals, sondern in das Lager der Arbeit gehört. [...] Wir werden alles tun, daß Männer wie Schlageter, die bereit waren, für eine allgemeine Sache in den Tod zu gehen, nicht Wanderer ins Nichts, sondern Wanderer in eine bessere Zukunft der gesamten Menschheit werden."
Die Rede Radeks stand vor dem Hintergrund der französischen Ruhrbesetzung, die eine Welle des Chauvinismus in Deutschland ausgelöst hatte. In diesem Fahrwasser bewegte sich nun auch die KPD. Ihr Aufruf zum Widerstand gegen die französische Besatzung und zur Bekämpfung des Versailler Vertrages wies nicht wenige Forderungen auf, die auch völkische Nationalisten teilen konnten. In der Roten Fahne, dem Zentralorgan der KPD, wurde nun mit nationalistischen Revanchisten wie den Schriftstellern Ernst Graf Reventlow und Arthur Möller van den Bruck diskutiert [4]
Statt der nationalen Euphorie also etwas entgegenzusetzen, versuchte die KPD, diese Stimmung aufzunehmen und für sich zu vereinnahmen, indem sie selbst die nationale Agitation verschärfte.
Die "Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes"
Ein weiterer diesbezüglicher Meilenstein wurde 1930 mit der "Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes" [5] gesetzt. [6] Sie war der erste programmatische Text der KPD seit dem Gründungsprogramm von 1919. Zwar bekräftigte die KPD, als einzige Partei "gegen jede Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie, für den revolutionären Sturz der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung, für die Aufhebung aller Rechte und Vorrechte der herrschenden Klassen, für die Abschaffung jeder Ausbeutung" zu sein. Ansonsten stellte das Programm allerdings ein "ganz von nationalen Gefühlen durchtränktes Selbstbildnis" [7] dar.
Hauptanliegen war darin nicht mehr der Kampf um eine sozialistische Gesellschaftsordnung, sondern die "nationale Befreiung Deutschlands", die nur durch die KPD zu erreichen sei. In bemerkenswerter Weltfremdheit wurde der NSDAP "nationaler Verrat" vorgeworfen. Deren Agitation sei lediglich Demagogie, um die Bevölkerung von ihren "wahren Interessen" abzulenken. Die KPD hingegen sei die einzige Partei, die "sowohl gegen den Young-Plan Der Young-Plan sollte die Zahlung der deutschen Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg neu regeln. Er wurde 1929 von einer internationalen Konferenz unter Vorsitz des amerikanischen Managers O. D. Young ausgearbeitet. Danach sollte das Deutsche Reich über 59 Jahre jährlich 2 Milliarden Goldmark zahlen. Tatsächlich wurden die Zahlungen 1931 eingestellt. als auch gegen den Versailler Raubfrieden, den Ausgangspunkt der Versklavung aller Werktätigen Deutschlands, ebenso wie gegen alle internationalen Verträge, Vereinbarungen und Pläne [...], die aus dem Versailler Friedensvertrag hervorgehen", kämpfe. Sie sei "gegen jede Leistung von Reparationszahlungen, gegen jede Bezahlung internationaler Schulden". Zur Macht gelangt, werde sie "alle sich aus dem Versailler Frieden ergebenden Verpflichtungen für null und nichtig erklären".
Mit dieser Erklärung versuchte die KPD, in einer Situation Sympathien zu gewinnen, die geprägt war von der Weltwirtschaftskrise und sich verschärfenden Nöten in der Bevölkerung. Deutschland hatte Reparationszahlungen an die alliierten Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu leisten, was die abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen besonders hart traf, da diese Ausgaben vor allem auf sie abgewälzt wurden. Eine Mehrheit der Bevölkerung suchte die Schuld dafür aber nicht bei der herrschenden Klasse, den Kriegsschuldigen oder gar bei sich selbst - sofern sie zu den zahllosen Freiwilligen gehörten, die begeistert in den Krieg gezogen waren - , sondern bei den Siegermächten. Statt einer sozialen stellte sich die nationale Frage.
Und da begab sich die KPD mit ihren Forderungen nach der Aufhebung des Versailler Vertrages und der Einstellung der Reparationsleistungen in gefährliche Nähe zu Reaktionären jeglicher Couleur bis hin zur NSDAP. Einschränkend soll hier festgestellt werden, daß tatsächlich nicht immer zwei das gleiche meinen, wenn sie dasselbe sagen. Aber in dem zunehmenden völkischen Taumel zog die KPD die Trennungslinien zwischen sich und den politischen Gegnern nicht mehr scharf genug. Im Gegenteil drosch sie nationalrevolutionäre Phrasen. Augenscheinlich schien der KPD der Einsatz für die "nationale Befreiung" mehr Erfolg zu versprechen als die Propagierung des Klassenkampfes. Zudem setzte sich in der Partei die Ansicht durch, so die beobachteten Spaltungserscheinungen in der faschistischen Bewegung fördern zu können [8].
Die Bemühungen, diese Unzufriedenen in die KPD aufzunehmen, waren von mäßigem Erfolg gekrönt. Auf der einen Seite traten als Folge der Programmerklärung zwar tatsächlich recht viele NSDAP-Mitglieder zur KPD über [9]. Gleichzeitig wanderte allerdings eine beträchtliche Zahl der eigenen Mitglieder irritiert und enttäuscht zu anderen Parteien ab [10]. Außerdem mußte der KPD klar sein, daß sich ihre neuen KämpferInnen wohl kaum "zur sozialistischen Avantgarde umfunktionieren lassen" [11] würden. Sie hielt trotzdem an ihrem Kurs fest und sah sich darin bestätigt, als im März 1931 der ehemalige Reichswehroffizier Scheringer von der NSDAP zur KPD überlief. Dies forderte Trotzki zu scharfer Kritik an der KPD heraus, seien doch Scheringers Schriften "völlig chauvinistisch, kleinbürgerlich und reaktionär" [12]. Andere prominente Nazis folgten Scheringer und riefen ihre ehemaligen Parteifreunde dazu auf, es ihnen gleichzutun. So vehement die Auseinandersetzungen innerhalb der Partei gegen jeweils "abweichende" Strömungen geführt wurden, so vorbehaltlos akzeptierte die KPD Neuzugänge aus dem rechten Lager.
Um so erwähnenswerter ist die Tatsache, daß es schon damals von links scharfe Kritik an der nationalistischen Politik der KPD gab. Diese Kritik war vor 1933 bereits von Paul Levi und Leo Trotzki geäußert worden. Im Zuge ihrer nationalistischen Kampagne 1931 hatte die KPD die Parole der "Volksrevolution" als Synonym zur "proletarischen Revolution" ausgegeben, um Teile der Mittelschicht besser ansprechen zu können. Dies forderte Trotzki in seiner Schrift "Gegen den Nationalkommunismus" zu der Kritik heraus, man verrate marxistische Prinzipien, um sich der faschistischen Demagogie anzupassen [13]. Fritz Sternberg formulierte diese Kritik in dem 1935 veröffentlichten Werk "Der Faschismus an der Macht" wie folgt:
"Wenn jedoch die Nazis die Reparationsfrage zu einem so entscheidenden Vorstoss bei den breiten Massen benutzen konnten, so hat ihnen hierbei nicht zuletzt die völlige ideologische Versumpfung der beiden grossen Arbeiterparteien, der SPD und der KPD, geholfen. [...] Sie hätten sagen müssen: Durch euer Geschrei von den Younglasten und der Kolonialsklaverei lenkt ihr vom wahren Schuldigen ab. [...] Wir stehen in einer Weltwirtschaftskrise von einem Ausmass, wie sie der Kapitalismus noch nie gesehen hat. Diese Weltwirtschaftskrise trifft die Länder, die die Reparationen bezahlen sollen, wie Deutschland, sie trifft die Länder, die [sie] lediglich weiterleiten, wie England, sie trifft das Land, das [...] den grössten Teil der Reparationen empfangen soll, die Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten haben [...] verhältnismässig ebenso viele Arbeitslose wie der deutsche Kapitalismus. [...]
In der KPD [...] glaubte man, die Nazis damit bekämpfen zu können, dass man einen Teil der nationalsozialistischen Phrasen übernahm. Ständig war in der kommunistischen Presse von der Young-Sklaverei, vom Kolonialdeutschland die Rede. [...] Die Verwirrung wurde noch gesteigert, als man im September 1930 mit einer Proklamation in den Wahlkampf zog, in der die nationale Befreiung vor der sozialen rangierte. [...] Und dann war es nicht mehr weit zur nationalsozialistischen Ideologie, die die Massen damit einzulullen suchte, dass man durch die nationale Befreiung überhaupt erst zur sozialen käme, dass also das Nationale das Primäre wäre." [14]
Das Volksbegehren zur Auflösung des preußischen Landtages
Im Sommer 1931 leitete die Nationale Opposition (Stahlhelm, NSDAP und DNVP) ein Volksbegehren zur Auflösung des preußischen Landtages und damit zum Sturz der sozialdemokratischen preußischen Regierung ein. Das Begehren erreichte die erforderliche Stimmenzahl zur Durchführung eines Volksentscheides. Ursprünglich lehnte die KPD jede Beteiligung daran ab. Sie verurteilte das Vorhaben als "demagogische Tat von Goebbels und Frick" und als "Volksbegehren der Reaktion" [15]. Die Rote Fahne schrieb am 10. April 1930: "Kein Werktätiger darf sich verleiten lassen, gemeinsam mit den Mord- und Streikbrecherbanden der Nazis und des Stahlhelms, gemeinsam mit den Börsenfürsten, Junkern und Inflationsgewinnlern für deren Volksbegehren aufzumarschieren." [16]
Heinz Neumann, Mitglied des KPD-Politbüros, schätzte in einem Brief an das EKKI die Situation so ein, daß die Chancen, die preußische SPD-Regierung durch eine solche Abstimmung zu stürzen, nicht zu unterschätzen seien und ein sicherer Sieg im Kampf gegen die Sozialfaschisten in Aussicht stehe. Nach einem erfolgreichen Volksentscheid würden sich die WählerInnen der NSDAP anderen Parteien zuwenden, also auch der KPD. Die KPD würde folglich bei der nächsten Landtagswahl alle anderen Parteien überflügeln. Das EKKI stimmte dieser Einschätzung zu. Dort hatte es zwar auch warnende Stimmen gegeben, doch konnten sich Stalin und Molotow durchsetzen und so erhob das EKKI Einspruch gegen den Beschluß des KPD-Politbüros. Die Führung der KPD änderte daraufhin ihre Entscheidung. Von einem Tag auf den nächsten lautete die Parole: "Heraus zum roten Volksentscheid!" [17] Der Volksentscheid aber scheiterte: Statt der erforderlichen 13,2 Millionen befürworteten nur knapp 9,8 Millionen WählerInnen die Auflösung des preußischen Landtages [18].
Obwohl diese Beispiele andeuten, zu welch abwegigen Aktionen sich die KPD in ihrem Kampf um die Gunst der Massen verleiten ließ, kann von einer grundsätzlichen Zusammenarbeit mit der NSDAP nicht die Rede sein. Die bürgerliche Geschichtsschreibung überbetont in der Regel solch gemeinsames Vorgehen, um die vermeintliche Gleichheit von Rot und Braun - die Totalitarismusthese also - zu untermauern. Es blieb jedoch marginal. Auch der BVG-Streik 1932 bestätigt - bei aller Problematik - entgegen der herrschenden Meinung diese These nicht. Deutlich wird allerdings allemal, wie schnell für die KPD der Zweck die Mittel heiligte. Es spielt dabei keine Rolle, ob dieser Nationalkommunismus nur eine taktische Variante war oder ob die KPD tatsächlich davon überzeugt war, daß nationale und linke Propaganda zusammenpassen.
Heute wird bisweilen angeführt, daß die vernichtende Gewalt des Nationalismus ohne die Erfahrung mit dem Faschismus nicht als derart gefährlich hätte erkannt werden können. Wer nun aber glaubt, die Position der KPD hätte sich folglich in der Nachkriegszeit geändert, muß sich bitter enttäuscht sehen. Ende der 40er Jahre proklamierte die KPD im Zeichen der Wiedervereinigungsbestrebungen den "nationalen Protest", die "nationale Selbsthilfe" und schließlich den "nationalen Befreiungskampf". Sie forderte die "Schaffung einer nationalen Front [...], die alle ehrlichen Deutschen umfaßt, die ihr Volk und ihr Vaterland lieben" [19]. Im Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands von 1949 werden die Parallelen zur Weimarer KPD deutlich:
"Nach dem Krieg .. geriet Westdeutschland [...] in die Sklaverei der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten. [...] Die westdeutsche Wirtschaft ist als Folge der imperialistischen ’Hilfe’ von Grund auf überfremdet und desorganisiert. [...] Zugleich führt der amerikanische Imperialismus einen systematischen Kampf gegen die deutsche Nationalkultur. Er möchte sie vergessen machen, daß sie Deutsche sind und daß sie eine große Vergangenheit als selbständige und begabte Nation besitzen. [...] Das Adenauer-Regime schützt und behütet die Interessen des amerikanischen, englischen und französischen Kapitals [...] durch die Zustimmung zur Aufrechterhaltung der Besatzung. [...] Dem Bündnis des Verräters Adenauer mit den amerikanischen Unterdrückern wird das Bündnis aller ehrlichen Deutschen im Westen und Osten unseres Vaterlandes entgegengestellt. [...] Schon jetzt ist im nationalen Befreiungskampf unseres Volkes die Arbeiterklasse die führende Kraft." [20]
Der Fehler der KPD, die Rechten gewissermaßen mit ihren eigenen Waffen schlagen zu wollen, war folgenschwer. Denn dieses Unterfangen war von Anfang an politisch fatal, weil anti-emanzipatorisch. Nationalismus wird nicht dadurch besser, daß er von links propagiert wird. Und das ist nicht erst klar, seit die KPD mit ihrem Versuch gescheitert ist, zusammenzufügen, was nicht zusammengehört.
(2001)