Fabian Kettner
Pascal Croci: Auschwitz/ Joe Kubert: Yossel 19. April 1943. Eine Geschichte des Aufstands im Warschauer Ghetto
Lässt sich zeigen, was sich nicht vorstellen lässt?
Ob und wie man den Holocaust künstlerisch, gar populärästhetisch darstellen könne und dürfe, das ist eine beliebte Debatte. Selten geht es dabei um die Frage nach der Darstellbarkeit, d.h. nach der grundsätzlichen Möglichkeit. Meistens ist es mehr eine Frage der Moral: darf etwas, was wie der Holocaust qua Grauen auf einen Gipfel schwarzer Erhabenheit gehoben wurde, gemein gemacht werden? Dann wird Adornos Satz über Gedichte nach Auschwitz zitiert und Celans Todesfuge als Gegenbeispiel genannt. Die ehrwürdigen Medien des bildungsbürgerlichen Kanons (Roman, Gedicht) haben weniger Legitimationsprobleme als die populären Medien. Die Debatten um den Film sind seit Schindlers Liste und erst recht seit dem danach einsetzenden Boom der Holocaust-Filme (und v.a. der Komödien) erledigt. Geht es um Comics, wird diese Debatte immer noch geführt, denn schließlich gelten Comics als Kinderkram, als oberflächlich und banal, gar als Schund – und dies trotz des vielgelobten Maus (Teil 1: 1986, Teil 2: 1991) von Art Spiegelman, der 1992 sogar den Pulitzer-Preis erhielt. Deswegen spricht man statt von „Comics“ lieber von „graphic novels“.
Wenn anlässlich der deutschen Ausgabe der Comics von Croci und Kubert sogar Bild fragt: „Darf man den Schrecken des Holocaust als Comic zeigen?“ (20.06.2005), dann geht es allerdings mehr um die Frage, ob man den Schrecken des Holocaust darstellen dürfe, ob dies ethisch vertretbar ist; nicht darum, ob man es könne, sondern darum, ob man nicht die Leiden der Opfer ästhetisch ausbeute oder ob man den Betrachtern nicht zuviel zumute. Versteht man unter „Schrecken“ Gewalt, Grausamkeit, Erschießungen, Vergasung und Verbrennung, dann haben beide Comics es dargestellt: Crocis spielt komplett in Auschwitz; Kuberts im Warschauer Getto in den Tagen des jüdischen Aufstands, über die Erzählungen eines Flüchtlings allerdings zu fast einem Drittel auch in Auschwitz.
Sowenig sich der Gesamtprozess der Judenvernichtung, inklusive der Entwicklung zu ihr hin, sich in den Gaskammern und Krematorien von Auschwitz erschöpft, sowenig entscheidet sich die Frage, ob die Darstellung der Shoah gelungen ist, an der Illustration von Kopfschüssen und halb verwesten Menschen. Auch historische Exaktheit muss nicht ein Kriterium sein. Wenn Kubert „am anderen Ende“ des Warschauer Gettos ein Gebäude der Sicherheitspolizei erfindet (31), wenn er Gaswagen auch in Auschwitz zum Einsatz kommen lässt (52), wenn er berühmt-berüchtigte Häftlingsarbeiten von Mauthausen nach Auschwitz verlegt (51), wenn er die Wehrmacht statt der SS in Auschwitz Dienst verrichten lässt, dann ist dies zwar historisch falsch, berührt die Probleme künstlerischer Darstellung aber nur äußerlich. Kubert erzählt eine Geschichte und hat keine geschichtspädagogischen Absichten wie Croci. Kuberts Zusammenziehen unterschiedlicher historischer Fakten geschieht entweder aus erzählerischer Freiheit oder aus Unwissenheit. Manchmal allerdings muss man beobachten, wie ein Mangel an historischem Wissen mit Assoziationen und wilden Vermutungen aufgefüllt wird. Wenn Kubert aus den sog. „Sonderkommandos“ in den Lagern (eine abgesonderte Gruppe Häftlinge, die ausschließlich mit dem Vernichtungsprozess beschäftigt waren) Elitekommandos für verdiente, freiwillig besonders hart arbeitende Häftlinge macht, dann wird es ärgerlich. Nicht nur weil es scheint, dass die grauenhafte Hohn-Parole, dass Arbeit frei mache, wenigstens zum Teil gestimmt habe, sondern noch viel mehr weil die Angehörigen dieses Sonderkommandos zu einer Art derber ‚Frontschweine’ mit harten, fast trutzigen soldatischen Gesichtern stilisiert werden, die von harter Arbeit und Erfahrung des Grauens gestählt worden seien (73 und 74). Der nackte Körper eines Fliehenden, der sich unter den Stacheldraht durcharbeitet, ist ein muskelbepackter Kämpferkörper, der allein auf Grund der Ernährung in Auschwitz verunmöglicht war, der bei Kubert aber auch noch von einem finster entschlossenen Gesicht angeführt wird (78). Das Profil seines kahlen Schädels sieht aus wie das von Marlon Brando als Colonel Kurtz in Francis Ford Coppolas Film Apocalypse now (85). Der Weg eines Rabbi vom gewöhnlichen Häftling übers Sonderkommando zur Flucht aus Auschwitz, um die Bewohner des Gettos zu warnen, ist eine Helden- und Märtyrergeschichte, mit der man aus der vollendeten Sinnlosigkeit der Judenvernichtung noch Funken von Sinn & Ziel schlagen möchte. Für Kuberts Comic insgesamt gilt dies glücklicherweise nicht.
Dass Kubert an diversen Superhelden-Comics mitarbeitete, schlägt leider durch. Sein Erzähler und alter ego ist Yossel, ein 16jähriger Getto-Bewohner, der gerne typische Superhelden zeichnet, um so der schlimmen Realität zu entfliehen. Dass er für die Nazis immer wieder arische Superhelden zeichnen muss, dass also das Körperideal seiner Helden mit dem Breker-haften seiner Mörder nahezu übereinstimmen muss, das hätte Kubert zu einer schönen Reflexion über den Comic im Comic ausbauen können. Aber diese Chance verpasst er. „Sogar meine von Comic-Helden angeheizte Vorstellungskraft konnte nicht die schrecklichen Ereignisse erfassen“, lässt Kubert seinen Yossel an einer Stelle erkennen (113). Eben drum kann er es nicht! Hier sind Form und Inhalt inkompatibel. Kuberts Zeichnungen hervorstürmender und kämpfender deutscher Soldaten (107ff.) könnten auch einem SA-Mann gefallen.
Doch im Gegensatz zu Crocis flächigen, blassen, glatten Bildern sind die Kuberts die besseren. Absichtlich verwendete er Bleistift-Reinzeichnungen, die teilweise wie halbfertige Skizzen aussehen, nur angedeutet. Gestalten schälen sich aus dem Hintergrund, nehmen Kontur an, verschwinden. Auch wenn er dies um der „Unmittelbarkeit“ willen tat, wie er selber sagt (7), so wird bspw. durch die Sichtbarkeit von Hilfslinien eine möglicherweise vorgetäuschte Authentizität durchbrochen. Gerade diese möchte Croci erreichen und dabei möglichst getreu reale Historie erzählen. Sowohl die Geschichte wie die Historie werden eilig erzählt, als sollten möglichst schnell alle Eckpfeiler der Shoah im allgemeinen wie die von Auschwitz im besonderen versammelt werden. Zwischen ihnen schickt Croci hilflos Menschen hin und her; Textblasen ergänzen die Informationen. Aber nicht nur scheitert er bereits bei der ästhetischen Umsetzung, weil bspw. die Häftlinge einfach zu gut aussehen, zu gut gekleidet und genährt, ärmlich zwar, aber stark und trotzig-mürrisch bis verwegen, - er biegt es sich auch nach Beleiben zurecht. Obwohl er von einem der ehemaligen Häftlinge, mit denen Croci sich bei der Arbeit zu seinem Comic ausgetauscht hat, darauf hingewiesen wurde, dass die von ihm erfundene Kopfbedeckung nicht wirklichkeitsgetreu sei, blieb er bei seiner Version; denn, so bekennt er frei weg: „Die Häftlinge sahen lächerlich damit aus“ (80). Und mit lächerlichen Gestalten kann man keine gescheite Geschichte erzählen. Aber mit einem Obersturmbannführer mit fiesem Gesicht, der stets an einer Zigarette in einem dekadent langen Mundstück zieht, dessen Hände mit unnatürlich langen und dünnen Fingern wie Fledermausklauen aussehen und der sich in einer Traumsequenz folgerichtig in Nosferatu verwandelt (35).
Realhistorie baut Croci immer wieder ein, bspw. indem er die Szene vom Beginn von Claude Lanzmanns Film Shoah aufnimmt, in der ein polnischer Bauernjunge den in Viehwaggons zum Vernichtungslager Sobibor vorbeirollenden Juden gegenüber die ‚Kopf ab’-Geste macht. Aber wieso kennzeichnet er nicht, woher er seine Ideen nimmt, hier sowenig wie auf den Seiten 42f., wo er fast wortgetreu (aber das mag bei der Übersetzung ins Deutsche verloren gegangen sein) eine Aussage des Auschwitz-Überlebenden Filip Müllers (auch aus Shoah) abschrieb? Wieso vermerkt er nicht, dass das Bild auf Seite 48 Mitte links die fast exakte zeichnerische Kopie eines relativ unbekannten unscharfen Fotos von Verbrennungsarbeiten ist, das von einem Angehörigen eines Sonderkommandos aus einer Barackentür heraus aufgenommen wurde?
Seinem Comic ist ein achtseitiges Dossier angefügt, in dem er Stellung zu seinem Werk nimmt; aber auch dort findet sich kein Hinweis auf solche problematischen Plagiats-Stellen. Dafür soll hier dem Leser Gelegenheit gegeben werden (so die Einleitung zum Dossier), die Puzzle-Teile des Comics zusammenzufügen. Stattdessen finden sich hier häufig sinn- und zusammenhanglose Äußerungen des Autors. Man versteht nicht, wieso er „ein großes Risiko“ einging, indem er Mitglieder von Amicale d’Auschwitz kontaktierte (76) – aber die Wagnis-Pose sieht gut aus. Man weiß nicht, was er damit meint, dass der Zweite Weltkrieg „über eine lange Zeit hin ... nur sehr eindimensional dargestellt worden“ ist (77), sowenig wie wenn er meint: „Und außerdem, Jude oder Nicht-Jude, Geschichte gehört allen.“ Meint er, dass die Geschichte, v.a. die des Holocausts, zu lange von den Juden an sich gerissen worden sei? Nun spannt Croci sie für seine Ideologieproduktion ein: der äußere Rahmen seiner Erzählung sind die Erinnerungen eines alten Ehepaars, welches 1993 in der Nähe von Tuzla von serbischen Soldaten eingesperrt wurde und angesichts der bevorstehenden Exekution ihr Schweigen über Auschwitz bricht. Und dafür kann Croci die Juden und ihre Vergangenheit gut gebrauchen. Croci, der bei der Berichterstattung aus Serbien brav „sofort an die Nazi-Todeslager“ dachte, ist es „sehr wichtig, die Geschichte mit der heutigen Wirklichkeit zu verbinden“ (78). Seine Moral von der Geschicht dabei ist: was die Nazis damals nicht mehr schafften, das vollenden in der Gegenwart die Serben. Vielleicht zeichnet er demnächst einen Comic über Palästina und die sog. „Nakba“ der Palästinenser, damit nicht nur die Juden ihre Shoah haben.
Pascal Croci: Auschwitz
Mit Hintergrundinformationen und Glossar.
88 Seiten, Hardcover, Euro 16,00
Ehapa, Köln 2005
ISDN 3-7704-2948-6
Joe Kubert: Yossel 19. April 1943. Eine Geschichte des Aufstands im Warschauer Ghetto
Aus dem Englischen übersetzt vom deutschen Comic-Künstler Horus
128 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Euro 22,00
Ehapa, Köln 2005
ISDN 3-7704-2947-8