Fabian Kettner
Marjane Satrapi: Persepolis
Innerer und äußerer Feind
Islamismus-Kritik auf halber Strecke
Westeuropäer schätzen an Menschen aus islamischen Ländern häufig deren antimoderne Ressentiments. Befriedigt zeigen sie auf deren angeblich berechtigten Antiamerikanismus. Wer sich selber nicht traut, der lässt andere für sich sprechen. Dass diese Menschen mehrheitlich dem entkommen möchten, für das Westeuropäer sie schätzen - zur Einfachheit stilisierte Armut, zur Authentizität geadelte Primitivität - und das möchten, was zivilisationsmüde Westeuropäer verachten, das wird gerne übersehen.
Marjane Satrapie zeigt in ihrem zweibändigen Comic Persepolis in einfachen schwarz-weiß-Bildern das Leben solcher Menschen. Sie erzählt das Leben eines 1970 geborenen Mädchens von 1979-1994, deren Biographie sich mit der ihren wohl weitgehend deckt.
Die Familie der kleinen Marjane besteht aus prowestlichen linken Intellektuellen. Sie freuen sich über den Sturz des Schah-Regmies 1979, merken jedoch sehr bald, dass die islamische Revolution die Lage verschlechterte. So leben sie in einem ständigen Konflikt mit dem Ayatollah-Regime, besonders die Frauen, die strengen Bekleidungsvorschriften unterliegen. Ab 1980 muss Marjane Kopftuch tragen, ihre zweisprachige Schule wird geschlossen und Mädchen und Jungen werden getrennt. Schulfreunde gehen mit ihren Familien ins Exil und einige Verwandte müssen flüchten, werden gefoltert oder ermordet.
Der Konflikt mit dem Regime wird v.a. auf alltäglicher, kultureller Ebene ausgetragen. In der Hoffnung, nicht erwischt zu werden, trägt man Nike-Schuhe, Jeansjacken und Buttons von Michael Jackson und Kim Wilde, heimlich kauft und hört man Popmusik, feiert verbotene Parties mit Alkohol und unkeuscher Kleidung.
Marjanes Haltung ändert sich ein wenig, nachdem sie von 14 bis 18 Jahren in Wien gelebt hat. War sie vor dem Exil pro-westlich, so ist sie es nach dem Exil zwar immer noch, aber nun weniger äußerlich. So sehr ihre chic gestylten Freundinnen im Erscheinungsbild gegen die Konvention verstoßen, so repressiv sind sie bspw. in Sachen Sexualität, die Marjane im Ausland mit einigen Schwierigkeiten kennengelernt hatte.
Der in den beiden Bänden formulierte Protest richtet sich gegen das Regime, soweit es die Interessen und Bedürfnisse von Marjane und den Menschen aus ihrem Umfeld beschneidet. Die Szenen, in denen die von den Revolutionswächtern ausgeübte sexuelle Repression dargestellt und die in ihnen steckende aggressive Projektion analysiert wird, sind die besten. Kritisiert wird auch das Märtyrerwesen, der Blut-, Opfer- und Todeskult. Aber dass es in der staatlichen wie oppositionellen Ideologie den einen großen Feind gibt, der die beschworene Einheit des Volkes zersetze: der Jude, das taucht nicht auf. Es ist ein bemerkenswerter blinder Fleck, dass das, was mit dem von Satrapi beklagten Antimodernismus einhergeht: der von staatlicher Seite mit großem Aufwand betriebene und weltweit materiell unterstützte militante Antiamerikanismus und Antisemitismus, nicht reflektiert wird – und deshalb bei Satrapi selber auftaucht.
Zum einen in einem merkwürdigen Geschichtsbild, das sie Marjane hauptsächlich von ihrem Vater und ihrem Onkel übernehmen lässt: 2500 Jahre lang seien die Perser von äußeren Mächten unterdrückt worden; der Schah sei ein von den Briten installierte Marionette gewesen; der Krieg gegen den Irak sei von außen herbeigeführt worden, damit sich die mächtigen Armeen gegenseitig dezimieren. Und dies nicht nur wegen des Öls, sondern wegen Israel. Satrapis darstellerisches Mittel, die Aussagen der Handelnden zu konterkarikieren, ihre Parolen zu entlarven und ihre Widersprüchlichkeit herauszustellen, versagt ausgerechnet dann, wenn sie den Vater sagen lässt, Sadat und Reza hätten die arabische Region verraten, indem sie mit Israel paktierten und wenn Marjane verschwörungstheoretische Literatur rezipiert (Die Geheimnisse des CIA, Freimaurer im Iran), die diese mit anderen Oppositionellen diskutiert, denen sie erhabene Seriosität und Lauterkeit ins Gesicht gezeichnet hat.
Marjane Satrapi: Persepolis
Band 1: Eine Kindheit im Iran
Übersetzung von Stephan Pörtner
Zürich, Edition Moderne 2004
160 Seiten, Euro 22,00
ISBN 3-907055-74-8
Band 2: Jugendjahre
Übersetzung von Stephan Pörtner
Zürich, Edition Moderne 2005
191 Seiten, Euro 26,00
ISBN 3-907055-82-9