Fabian Kettner
Katja Kullmann: Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein
Die Einsamkeit des Seidenpyjamas
Artikuliert sich eine Person als Vertreterin einer Generation, so tut sie dies zumeist, um sich von anderen abzugrenzen und um Unbehagen am status quo zu formulieren. Die „Generation Ally“ besteht aus den „Töchter[n] der Emanzipation“. Sie ist „nicht wirklich glücklich“ (13), klagt über „versagte[.] Erfüllungsgefühle“, „Zweifel an der eigenen Biographie“, „Angst vor der Zukunft“, über „die Ungerechtigkeit“, „die Angst“ und „die Sorge“. Soweit die Einleitung. Damit hat Kullmann alles gesagt und man könnte das Buch weglegen – aber dann wäre man um das gebracht, wozu Generationen-Konstruktionen da sind: eine Identität aufzubauen, ähnlich empfindende Menschen um ein Nichts zu versammeln; – und um von dem „System“ nicht mehr reden zu müssen, von dem Kullmann vermutet „dass es da irgendwo einen Fehler“ gebe (12). Die kalkulierte Skepsis und die wohldosierte Frustration werden kurz gehalten und gepflegt; eine kritische Theorie der Gesellschaft würde sie erst richtig entfalten und der Autorin über den Kopf wachsen lassen. Aber dies zu verhindern und um eine Gemeinschaft sich gegenseitig selbstbestätigender Allesdurchschauer und abgeklärter Mundaufmacher, die es so genau gar nicht wissen wollen, zu schaffen, werden Bücher wie dieses geschrieben. So liest man sich also durch ca. 200 Seiten Frauenzeitschriftenbesinnungsaufsatz über die „Einsamkeit der postmodernen Frau vor der Familiengründung“ (93), denn sonst wäre man um die die einzelnen Kapitel einleitenden Zitate aus Ally McBeal gebracht und um das dropping von Sänger-, Gruppen-, Film-, Serien-, Schauspieler-, Kleidungs- und Wohnungseinrichtungsmarkennamen, das seit B.E. Ellis Pflicht ist. Stellen jüngere Menschen die Frage nach ihrer Generation, dann betasten sie Meta-Zonen eines Schmerzes, die sie für die Wunde halten, dann vermeiden sie die Frage nach Klasse und Gesellschaft, die wesentlich schmerzhafter und existenzieller wäre. Sie schreiben über die Wirklichkeit (oder das, was sie dafür halten), um derselben zu entgehen, und anstatt diese auf ihren Begriff zu bringen, zählen sie sie enzyklopädisch auf.
Was für eine Generation ist dies? Gemeint sind Frauen der Jahrgänge 1965-75, aus der Mittelschicht vom Gymnasium durchs geisteswissenschaftliche Studium geglitten, stets fleißig und um frühzeitigen Einstieg ins Berufsleben, um viele kleine Qualifikationen über Praktika, Volontariate etc. bemüht, die nun in Werbeagenturen, Verlagen, Sendern usf. sitzen, an denen sie nur stört, dass sie nicht soviel verdienen wie der männliche ehemalige Studienkollege, der schon damals in der Arbeitsgruppe von ihnen abschrieb. Dass Geld und Job nicht alles sein könnte, ahnt Kullmann, aber Leistung soll sich lohnen! Sie weiß, was sie wert ist, wenn auch nur als „akademisches Proletariat“, „für die freie Wirtschaft möglichst reibungslos verwertbar“ (55), aber solches Selbstbewusstsein betätigt sich nur in Selbstverdingung und Rücksichtslosigkeit. Für sie „steht außer Frage, dass wir uns nehmen würden, was wir wollten“ (39), dass sie „wie in fast allen Lebensbereichen, das Optimum herausholen“ (129) und „am liebsten über alles bestimmen“ wollten (139). Sie verdienen gut, haben keinen richtigen Freund, nicht den gewünschten Sex, verspüren aber gleichzeitig eine innere „Rebellion wider den Flirtline-Extreme-Orgasmuskick-Erotikmessen-Terror“ (115) und reklamieren dagegen blind sehnsüchtig die „echte Liebe“ (119), ohne zu wissen, was das denn wäre. Dafür haben sie viel Kleidung und können treffsicher analysieren, dass ihnen Konsum „als Ersatzbefriedigung für ausbleibende menschliche Zuwendung“ dient (71).
Sie sehen, wissen, kennen und können alles, auch ihre Verstrickung und ihren Selbstbetrug, und sie begreifen nichts. „Die Schmach unerträglich machen, indem man sie publiziert“, wie Marx meinte, das klappt nicht mehr. Hier wird der eigene Jammer so oft repetiert, bis der Stachel stumpf ist, bis man auch diese Zumutung hinnehmen kann. Und auch das wissen sie noch, denn „wir amüsieren uns, denn anders als mit (Selbst-)Ironie ist dieser Zustand ja nicht auszuhalten, meinen wir“ (13).
So schreiben die Generationen ständig über sich selbst, und sie meinen, sie sagten dabei irgendetwas Wahres. Sie sind so gründlich illusionslos, dass sie vor einem politischen Bewusstsein zurückschrecken und damit fangen sie sich immer wieder selber auf. „Aussichtslos“ erscheint „der Kampf für eine bessere Welt“ (32), aber Bewunderung hegt man für die kleinen Geschwister, die Globalisierungsgegner (88). Dass ja doch alles Lüge sei, sehen sie an den 68ern, die sie wie alle aus den falschen Gründen hassen, denen sie vorwerfen, worüber man lieber froh sein sollte: dass jene ihre Träume eines autoritären Volksstaatssozialismus gegen eine Karriere in der bürgerlichen Gesellschaft eintauschten. Sie sind ‚schonungslos’, wenn sie über sich selber reden, v.a. aber gegen die, die sie nicht leiden mögen. Bei Kullmann ist dies der „Mainstream“, der ihr die Trends (Caipirinha, Kuhfellbettwäsche) kaputtmacht, indem er sie absorbiert (83); v.a. aber „Ramona“, Kullmanns Spiegelobjekt: das Mädchen aus der Unterschicht, das trotzdem aufs Gymnasium ging, früher als andere sekundäre und primäre Geschlechtsmerkmale ausbildete und die Jungs früher an jene ranließ als Kullmann und ihre Freundinnen, vielleicht also etwas von dem hatte, was Kullmann einfallslos als „wahres Leben“ (46, 113) vermisst, - dafür aber mit früher Schwangerschaft, Alleinerziehendenexistenz und Sozialamtstropf „ihre Strafe bereits erhalten“ habe (202). „Keine Spur von Mitleid“ (201), dafür eine Menge Genugtuung. Das Glück des Faschisten besteht darin, dass, wenn es ihm selbst schon nicht gut geht, es wenigstens auch keinem anderen besser gehen möge. Dies und die ‚schonungslose’ Bestandsaufnahme des unbefriedigenden Lebens, die Selbstdistanzierung, dient als Selbstschutz, als laufende rasende Bestätigung, dass man immerhin habe, was man hat, und steht stets auf der Kippe zur Selbstromantisierung. Dieser Generation dient Kullmann, der sie „schmeichelt“, indem sie „ihr vom Aufstehen bis zum Zubettgehen den Spiegel weniger vorhält als nachträgt“ (W. Benjamin). Die Generation nimmt das Angebot gerne wahr, erkennt sich, verspürt kein Grauen vor dem Bild, sondern macht sich zurecht. Sie fühlt sich betrogen und zu Höherem berufen - und muss gestoppt werden, wenn sie sich erheben sollte.
Katja Kullmann: Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Frankfurt/M: Eichborn, 2002. ca. 210 Seiten, € 16,90