Ingo Elbe

John Leslie Mackie: Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes

Das vorliegende Werk des australischen Philosophen John Leslie Mackie (1917-1981) setzt tiefer an als viele geläufige Texte des zeitgenössischen Atheismus. Mackie arbeitet mit einer sich jedem Argument ernsthaft nähernden, es gründlich auf logische
Zulässigkeit und empirische Plausibilität hin prüfenden, unpolemischen Geltungsreflexion.

Die Diagnosen eines säkularen, schon post-atheistischen bürgerlichen Zeitalters sind gescheitert. Nicht nur Esoterik und anderer Neo-Mystizismus, sogar der traditionelle Gottesglaube scheint wieder en vogue. In Zeiten, in denen christlicher und islamischer Fundamentalismus weltweit auf dem Vormarsch sind, in denen der Papst von den Medien besinnungslos als (deutscher) Popstar abgefeiert wird, die EU-Kommission sich nicht zu einer Ablehnung des Kreationismus durchringen kann, in Deutschland Ex-Muslime und in den USA Abtreibungsärzte um ihr Leben fürchten müssen oder in denen wieder und wieder die Lüge vom christlichen Ursprung der bürgerlich-demokratischen Rechtsordnung kolportiert wird, in solchen Zeiten ist man schon für jedes Zeichen klassischer bürgerlicher Aufklärung und offensiven Atheismus dankbar – selbst in dem Bewusstsein, dass diese selten zu den Ursachen des neo-archaischen Denkens vordringen.
Das vorliegende Werk des australischen Philosophen John Leslie Mackie (1917-1981) setzt ein solches Zeichen. Es setzt dennoch tiefer an als viele geläufige Texte des zeitgenössischen Atheismus, wie z.B. die Faktendarstellungen einer „Kriminalgeschichte des Christentums“ von Karlheinz Deschner oder die polemischen Essays Michel Onfrays. Mackie, in der akademischen Diskussion vor allem durch seine Beiträge zur Ethik („Ethics. Inventing Right and Wrong“ (1977)) und zum Kausalitätsbegriff („The Cement of the Universe. A study of causation” (1974)) bekannt geworden, widmet sich sämtlichen Begründungsversuchen einer theistischen Gottesvorstellung, d.h. der eines personalen, allmächtigen, allwissenden, gütigen, ewigen Schöpfers des Universums.
Mackie arbeitet mit einer sich jedem Argument ernsthaft nähernden, es gründlich auf logische Zulässigkeit und empirische Plausibilität hin prüfenden, unpolemischen Geltungsreflexion. Die Methode einer sozialpsychologischen Untersuchung der Genese religiöser Bedürfnisse und Vorstellungen spielt bei ihm eine eher randständige Rolle, wird aber ebenfalls in einem eigenen Kapitel („Religiöse Erfahrung und die natürliche Geschichte der Religion“) abgehandelt – allerdings mit einem eher oberflächlichen Bezug auf Feuerbach und Freud sowie einem recht verzerrten Bild von Marx.
Seine Stärke hat dieses Buch zunächst in seiner akribischen Untersuchung der rationalen Begründungsversuche der Existenz Gottes. Charakteristisch für diese Versuche ist folgender Ausspruch Anselms von Canterbury: „Herr ... wollte ich auch an Dein Dasein nicht glauben, so wäre ich doch außerstande, es nicht zu erkennen“. Erklärtes Ziel der traditionellen ‚Gottesbeweise’ ist es also, dem Ungläubigen zu zeigen, dass sein Atheismus nicht widerspruchsfrei aufrecht zu erhalten ist. Diesem Anspruch begegnet Mackie mit einer meist immanenten logischen Geltungsprüfung. Im Falle des von Anselm initiierten und von Descartes weitergeführten ontologischen Arguments, d.h. des Schlusses von der bloßen Idee Gottes auf seine notwendige Existenz, stützt sich Mackie unter anderem auf ein selten beachtetes Gegenargument Kants (72, 79, 85), das nicht mit dessen These identisch ist, ‚Sein’ sei kein reales, sondern lediglich ein grammatisches Prädikat. Mackie handelt aber nicht nur ontologische Argumente ab, sondern bietet ein meist auch für philosophische Laien gut verständliches Kompendium, das detailliert nachweist, wie auch die kausalistischen, teleologischen, kosmologischen, ethischen, sensualistischen und kognitivistischen Argumentationsversuche an ihrem eigenen Begründungsanspruch scheitern.
Dem Problem der Theodizee, dem Versuch der Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt, wird ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem Mackie zeigt, wie es dem Theismus unmöglich ist, sämtliche Attribute, die er seinem Gott zuordnet, zugleich aufrecht zu erhalten. Übel und Leid stellen sich dabei als begründungstheoretische Anomalien und notwendige genetische Bezugspunkte religiösen Denkens gleichermaßen heraus: Das, worauf der Theismus stets als Bezugspunkt seiner Existenz und praktischen Notwendigkeit rekurriert, menschliches Leid, kann nicht konsistent in seinen eigenen Deutungsrahmen integriert werden (250). So widersprechen beispielsweise absorbierbare Übel der Allmacht und Güte Gottes – ein allmächtiger Gott bedarf keiner Mittel, um seinen Willen zu realisieren (was auch in der magischen Vorstellung des Wunders impliziert ist), verwendet er sie dennoch (in Gestalt von Übeln, die letztlich Gutes bewirken), dann ist er ein Sadist. Auch die nichtabsorbierbaren Übel sind nicht mittels der These der menschlichen Willensfreiheit (die Mackie zufolge in ihrer radikalen Variante wiederum lediglich ein säkularisiertes religiöses Dogma darstellt) zu begreifen (258, 261ff.).
Doch nicht nur die rationalen Argumente zugunsten des Theismus, auch die moderneren Varianten einer gleichsam indirekten, nämlich nützlichkeitsorientierten (z.B. Pascals Wette) oder sprachspieltheoretischen (Wittgenstein, Winch, Phillips) Apologie des Gottesglaubens werden einer radikalen Kritik unterzogen. Insbesondere die sprachpragmatisch-hermeneutische Position, die einen Sinn religiöser Praktiken jenseits des Glaubens an theistische Tatsachenbehauptungen, aber auch ohne Eingeständnis der lediglich psychosozialen Kompensationsfunktion dieser Praktiken behauptet, wird von Mackie als beispielloses sacrificium intellectus erwiesen. Sein Resümee: Religiöser Glaube ohne Tatsachenbehauptungen über die Existenz religiöser Sachverhalte ist purer Unfug. Die Wendungen des ‚Vertrauens auf’, des ‚Erkanntwerdens von’, des ‚Lobes des’ oder der ‚Verantwortung gegenüber’ haben nur dann einen Sinn, wenn sie sich auf einen als wie auch immer real angenommenen Gott beziehen (359), sonst sind sie lediglich Metaphern für rein weltliche psychosoziale Sachverhalte (z.B. für Beziehungen zu anderen Menschen, das eigene Gewissen oder Ähnliches) – was sie gemäß der Sprachspieltheorie der Religion aber erklärtermaßen auch nicht sein sollen.
Mackies in vielerlei Hinsicht überzeugendes Werk endet mit einem Plädoyer für einen atheistischen Humanismus, der die Erkenntnis der Künstlichkeit von Moral (hier ist er ganz Humeaner) nicht vorschnell mit der Gefahr des Nihilismus identifiziert, wie dies von interessierter religiöser Seite meist geschieht (402ff). Mackie zeigt umgekehrt, in der Tradition von Freuds Motivation zur Schrift „Die Zukunft einer Illusion“ stehend, dass die Bindung humanistischer Perspektiven an religiöse Vorstellungen diese Perspektiven mit der Entsubstantialisierung der Religion zugleich gefährden würde. Allerdings konstatiert er einen präkonventionellen Charakter theistischer Moral (‚Ich meide die Sünde, weil Gott mich für sie bestrafen wird’) und folgert, dass religiöse Menschen nicht wegen, sondern trotz ihres Glaubens moralisch-prinzipienorientiert handeln könnten. Die Wertvorstellungen der großen monotheistischen Religionen sind aber nicht mehr das Thema dieses Buchs.