Fabian Kettner

Jane Kramer: Der einsame Patriot. Die kurze Karriere eines amerikanischen Milizionärs

Die kluge Amerikanerin

Jane Kramer wurde 1938 geboren, seit 1963 schreibt sie für den New Yorker, seit 1972 ist sie dessen Europa-Korrespondentin und schreibt Reportagen, die unter dem Titel Letter from Europe erscheinen. Einige ihrer Reportagen sind in Buchform zusammengefasst, als fünfzig- bis hundertseitige Aufsätze, so in Sonderbare Europäer (Eichborn 1994) oder in Unter Deutschen (Edition Tiamat 1996). Kramer schreibt einfach und nüchtern und ist eine begnadete Erzählerin. Hat man den schmalen Band Eine Amerikanerin in Berlin (Edition Tiamat 1993 - ein Kapitel aus Unter Deutschen als Einzelveröffentlichung) gelesen, weiß man anhand der ehemaligen Ostberliner Kunstszene alles über Ost- und Westdeutsche und was bei deren Wiedervereinigung vorging - und v.a. mehr, als man aus allen dt. Feuilletons herausfiltern könnte. Zur Unterstützung ihres „ethnologischen Blicks“ hat sie meist gute Gewährsleute (für Berlin: Wiglaf Droste, für Deutsche, deren Vergangenheit & Juden: Eike Geisel), deren Erkenntnisvorsprung vor anderen Deutschen darin besteht, dass ihnen Deutschland so fremd ist wie Kramer und so widerwärtig, wie diese es nicht sagt.

Vielleicht war Kramer lange genug in Europa, um nun auch für die USA einen ethnologischen Blick zu haben; ganz sicher aber ist ihr neues Buch Beweis für die kritische Kraft von US-Intellektuellen, die es nach Meinung der Deutschen in den USA nicht gebe, weswegen diese meinen, die sog. „berechtigte Kritik“ an den USA (wie an Israel) auch noch leisten zu müssen. Was Kramer berichtet, das klingt vertraut nach deutschen Landen, nur dass es hier nicht so viele Waffen hat. Im Gegensatz zu Deutschen aber ist sie überrascht von der „Bedrohlichkeit, mit der ein Land, das immerhin meines war, Leuten wie mir entgegentrat. Nichts ließ mich tatsächlich darauf gefasst sein, wie fremd der Westen mir vorkommen würde, mit seinen Milizen und Horden aus Freemen und Patrioten“ (14).

Der „einsame Patriot“ ist John Pitner, vom FBI am 27.07.1996 verhaftet, „Begründer, Betreiber, Bankier, Quartiermeister und Oberkommandierender“ (8) der Washington State Miliz in Whatcom County, „einem County, der sich auf seine ungewöhnlich hohe Dichte an Leuten, die nicht ganz dicht waren, etwas zugute hielt“ (153). Er ist einer von den Patrioten mit „paranoischen Zügen, die das patriotische Normalmaß überstiegen“ (78); der festen Überzeugung, „dass acht jüdische Bankiers die Vereinigten Staaten an die Vereinten Nationen verscherbelten“ (26); dass die Staatsbank, „bei der es sich, wie John zuverlässig wusste, um eine Privatbank handelte – um eine Bank mit einem großen Lagerhaus voller Dollars -, die für den Internationalen Währungsfond Geld wusch, das dazu diente, weitere Streitkräfte für die Vereinten Nationen zu kaufen; und das wiederum ermöglichte es Zehntausenden von russischen Soldaten, jetzt, in diesem Augenblick, ihre Übungen abzuhalten – und zwar in unmittelbarer Nachbarschaft des Valley Highway, der, wie allgemein bekannt, schon längst mit Mikrochips gespickt war, die das Leben der Kinder von Whatcom County unter die Lupe nahmen, jede ihrer Stimmungen und Bewegungen kontrollierten und etwaige widerspenstige junge Patrioten einer ‚Spezialobservierung’ unterzogen“ (29f.). So wie bspw. ihn, den FBI-Agenten abgeholt haben sollen, um sein Hirn mit Laser anzuzapfen.
Milizen halten Versammlungen ab, horten und bunkern Waffen und Survival-Packs und bereiten sich auf den „Ernstfall“ vor, auf den die Revolution folgen solle, „von der sich die meisten Patrioten erhoffen, dass sie ihnen Rettung bringen und ihr Land in eine gemütliche Kiezgemeinschaft verwandeln werde“ (36). Neben der wahnhaften Ideologie und der imaginierten Bedrohung hält sie ein Versprechen auf einen späteren Beuteanteil zusammen. Routine, das Warten auf den stets unmittelbar bevorstehenden und doch nie eintretenden Ernstfall, ist gefährlich. Die zelebrierte Gemeinsamkeit gibt den Labilen Halt und verhindert ihren individuellen Amoklauf, aber gleichzeitig verlängern und verschärfen sie die „brisante Rastlosigkeit“ (91) ihrer Mitglieder.

Der individuelle Wahn, so Adorno, sei auch von der Gesellschaft her motiviert. Er ist Ersatz für Erkenntnis, weil diese nicht an jene heranreicht. Im Wahn drückt die heteronome Welt sich verzerrt aus – und wird in ihr erneut bestätigt, sei’s indem man ahnungsvoll an ihr vorbeispekuliert, sei’s indem Herrschaft nicht beseitigt werden soll. Milizionäre sehen überall die Verschwörung, weil sie selber konspirieren; andere sehen sie nach der Macht im Lande greifen, weil sie selber sie erringen wollen. Ihren Wahn können sie mit nichts als Fakten untermauern. Für alles haben sie Dokumente und Geheimberichte, wie die „Abschrift der ‚wahren’ amerikanischen Verfassung und einen Ausdruck eines fast unverständlichen Textes mit dem Titel ‚Anweisung des Präsidenten Nr. 25’, bei der es sich um Clintons heimlichen Plan für die Übergabe der amerikanischen Streitkräfte an die Vereinten Nationen handelt“ (29) oder wie „die streng vertraulichen Fotos von den Konzentrationslagern, die von der Regierung errichtet wurden, um Patrioten auszuschalten“ (31). Diese Fakten „waren keine Mitteilungen, sondern Offenbarung, absolut, unwiderleglich, keiner Diskussion zugänglich. Mit John stritt man nicht. Wer das tat, war entweder an der Verschwörung beteiligt oder diente der Verschwörung als nützlicher Idiot“ (30). Die psychische Leistung des Wahns, so Adorno, besteht in einer scheinhaften Orientierung in einer Welt, deren Gefüge man nicht durchschauen will, aber deren Fremdheit gelindert werden soll. Es gewährt die narzißtische Befriedigung, zu den ‚Wissenden’ zu gehören. Deswegen muss an ihm festgehalten werden. In das vorab gefertigte Weltbild wird alles eingepasst; das Widersprechende, wenn es nicht abgewehrt werden kann, zum Beleg umfunktioniert. Informationsfülle und projektive Eigenleistung korrelieren. „Je mehr ‚Informationen’ er bekam, um so mehr reimte er sich zusammen oder erfand er“ (89). „Je mehr er sich mit der Welt verbunden fühlte, um so mehr dichtete er sich gegen sie ab. Als ich ihn kennen lernte, hatte er praktisch das Reflektieren verlernt. Er konnte reden, aber er konnte nicht zuhören“ (88). – Ähnlichkeiten mit der deutschen Berichterstattung zum letzten Golf-Krieg sollen Zufall sein.

JANE KRAMER: Der einsame Patriot. Die kurze Karriere eines amerikanischen Milizionärs. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz. Berlin: Edition Tiamat, 2003. Ca. 280 Seiten, € 24,00