Fabian Kettner
Günther Anders: Über Heidegger
Tom Rockmore: Heidegger und die französische Philosophie
Der sich tragierende Selfmade-Man
Durch Günther Anders’ (1902-92) klares, vielseitiges Werk kann man denken lernen, auch wenn sein Sprachgebrauch deutlich vom eigentümlichen Vokabular eines seiner Lehrer, Martin Heidegger, geprägt ist. Mit Über Heidegger liegen nun umfangreiche Notizenkonvolute, sowie eine dt. Übersetzung seines nur schwer zu greifenden, wichtigen Aufsatzes On the Pseudo-Concreteness of Heidegger’s Philosophy von 1948 vor, in denen er sich über Jahrzehnte mit der Philosophie seines ehem. Lehrers auseinandersetzt. Während Anders über Paris (März 1933) in die USA (1936) flüchtete, noch bevor seine jüdische Herkunft dies notwendig gemacht hätte, dort Kontakt zu Brecht, Thomas Mann, Herbert Marcuse, Adorno et al. hatte, aber Außenseiter blieb und sich mit "odd jobs" über Wasser halten musste, wurde Heidegger Rektor der Uni Freiburg.
Seine biographische Verknüpfung mit dem NS, sein frühes Bekenntnis zu ihm wie sein Engagement ist bekannt. Das Nacherzählen historischer Fakten macht die politischen Biographien auch der Heidegger-Kritiker (wie bspw. Die vielbefeindete von Victor Farías, Heidegger und der Nationalsozialismus) jedoch unergiebig. Heidegger, "der das Wort wie eine Monstranz vor sich herträgt und ... sich ein eigenes Idiom mit besonderem Wahrheitsanspruch zurechtgebogen hat", "wohlig gewiegt von Wagnerschen Ramsch-Assonanzen" (Robert Minder), hat die Ideologie schon in die Sprache gepackt. "Auf Frühe ist er aus" (312), mit "Ursprungsvokabeln" (227), an der "Quelle" von Volkes Seele und Kraft, wo das Sprechen zum Raunen wird. So begleitete er "die Bewegung als deren gelehrte Variante" (312). Wie Adorno, der im ersten Teil der Negativen Dialektik und im Jargon der Eigentlichkeit begründete, dass Heideggers "Philosophie bis in ihre innersten Zellen faschistisch ist", wie für seinen Schüler Karl Heinz Haag (Kritik der neueren Ontologie), so ist auch für Anders die Auseinandersetzung mit Heideggers Denken wichtiger, sein politisches Verhalten nur Symptom. Noch stärker dringt Anders in Heideggers Philosophie ein, zeichnet ihre Logik nach, zeigt an zahlreichen Aspekten Inkonsistenzen, unerklärte Setzungen und ideologische wie politische Konsequenzen auf. Er zeigt immer wieder auf, wie in Heideggers scheinbar gänzlich esoterischer Welt Geschichte und Gesellschaft anwesend sind unddurchscheinen.
Das Reaktionäre an Heideggers Philosophie ist gleichzeitig das, was an ihm so anziehend für die Intelligenzija war und ist: Er stellt eine Diagnose über die Verfassung des Menschen in der Moderne, die trotz aller "verquältesten sprachlichen Anstrengungen" (242) und trotz "jenes begrifflichen Betrugs, der ja, in geradezu einzigartiger Weise, das Werk Heideggers durchzieht" (195), so falsch nicht ist, aber verdeckt dabei ineins deren Gründe und Änderbarkeit. Mit ihm konnte sie "fliehen aus den ernsten Problemen in den Ernst als Beruf" (69). Formuliert zur Zeit der Weimarer Republik thematisiert sie zwar "die Einwirkung der Krise auf das Individuum" (114), artikulierte aber "eine konkrete gesellschaftliche Situation, ohne es selbst zu wissen, spekulativ" (147). "Vor dem Nichts" steht der arbeits- und obdachlose Kriegsverlierer; zum verachteten "Man" geworden ist das jenseits seiner Funktionalität bedeutungslose Subjekt von Kapital & Staat. Dies sieht Heideger "nicht als Beschreibung einer bestimmten geschichtlichen Situation ... sondern als Beschreibung menschlicher Existenz überhaupt" (207). Derart "geworfen", bindungs- und herkunftslos, soll das "Dasein" "sich zum Selbst machen, ohne in die verdinglichende und entselbstende Realität wirklich einzugreifen." Stattdessen werden zum einen durch sprachliche Tricks die "entselbstenden Faktoren aus der Welt in das Dasein rückverlegt" und ebenso wie Freiheit zu
’Seinsweisen’ deklariert (267), zum anderen wird nicht gefragt, woher das "Man" kommt, sondern die Schuld am "Uneigentlichsein" dem "Dasein" selbst angelastet. Ihm gibt Heidegger eine "Askesetechnik" zur "Ablösung von der Welt zum Zwecke des Selbst-Werdens." "Eigentlich" mache der "Tod"; hier stehe das Dasein unvertretbar und vereinzelt vor dem "Nichts". Mit der "düsteren nihilistischen Trotztechnik" (48f.), sich auch diese äußerste Heteronomie zu seiner ureigensten Sache umzudeuten, hinter der die "Versäumnispanik" dessen steht, "dessen Leben keine andere Aufgabe kennt als dieses Leben selbst" (56), begnügt er sich, anstatt "eine dem Menschen angemessene eigentliche Welt zu schaffen" (58). Die Emphase des Lebens, die ihn so anziehend macht(e), schlägt um in Lebensfeindlichkeit. "Kein Mensch könnte seinen Mitmenschen schlechter behandeln als Heideggers ’Dasein’ sichselbst" (104).
In der Existenzphilosophie sieht Anders die letzte der "drei Invasionswellen in Frankreich" (215). Tom Rockmore hätte seine Monographie besser "Die frz. Philosophie (und Heidegger)" genannt. Über erstere erfährt man formell viel (wie verläuft die akademische Bahn? wer hat wen wann wo gelesen und gehört? was heißt "Meisterdenker"? usf.), inhaltlich wird es bereits dünn bis fraglich; über Heidegger erfährt man so gut wie nichts. Wer eine Übersicht über sämtliche Literatur haben möchte, wird gut bedient. Sonst lernt man nur, was man vorher schon wusste: Heidegger hat stark auf die frz. Philosophie nach dem 2. Weltkrieg gewirkt. - Und wie? Sehr. Dies ist schade, denn auch wenn Rockmores frühere Studie On Heidegger’s
Nazism and Philosophy weniger auf den Faschismus in Heideggers Denken abhob, sondern es eher diskursgeschichtlich einordnete, so war mehr zu erhoffen: Inwiefern steckt Heidegger in der postmodernen Philosophie? Bspw. Heideggers Todes-Raunen bei Georges Bataille und beim frühen Jean Baudrillard kommt gar nicht vor. Wieviel Faschismus hat sie dabei absorbiert? Welche Schlüsse lässt ihr Reden über den NS und die Shoah zu? Zu "zeigen, in welcher Richtung die Existenzphilosophie" wie die Postmoderne "liegt, um den Zeitgenossen zu verhindern, in sie hineinzugeraten" (Über Heidegger, 44), diese Chance ward vertan.
Günther Anders: Über Heidegger. Hg.v. Gerhard Oberschlick in Verbindung mit Werner Reimann als Übersetzer. Mit einem Nachwort von Dieter Thomä. München: Beck, 2001. ca 480 Seiten, EUR 34,90
Tom Rockmore: Heidegger und die französische Philosophie. Aus dem Amerikanischen und Französischen von Thomas Laugstien. Lüneburg: zu Klampen, 2000. ca. 300 Seiten, EUR 29,-