Christoph Hesse
Dieter Prokop: Mit Adorno gegen Adorno. Negative Dialektik der Kulturindustrie
Richtig Spaß im falschen Leben
Kulturindustrie revisited
Um wenige Begriffe der Kritischen Theorie ranken sich so viele interessierte Mißverständnisse wie um den der Kulturindustrie. Dem setzt Dieter Prokop eine Interpretation entgegen, die man mit einem Wort Walter Benjamins wohlwollend als rettende Kritik, aber durchaus auch als merkwürdiges Zugeständnis an die alles erdrückende Realität der Massenmedien bezeichnen könnte. Prokop will das kritische Konzept gegen den Trend vieler zeitgenössischer Kulturtheorien verteidigen, es aber zugleich gegen die eigenen Begründer wenden, die die Dialektik von Freiheit und Unfreiheit der Kulturindustrie selber nur unzureichend entwickelt hätten.
Kulturindustrie, das sind im wesentlichen die Medien der Massenkommunikation und die zu kommerziellen Zwecken fabrizierten Kulturgüter, auch die gern als „überflüssig“ bezeichneten Konsumgegenstände. Die Kulturindustrie mag viel Unfug produzieren, der einzelnen ganz und gar nicht gefällt, doch den Schrecken totalitärer Repression hat sie lange schon verloren. Tatsächlich scheint es so, als sei eine Kritik der Kulturindustrie, wie sie Adorno formuliert hat, mit dem Fortbestand jenes Systems kraftlos und jedes Werturteil über die Kultur hinfällig geworden. Kulturtheorien, die solche Berührungsängste ohnehin für bildungsbürgerliche Marotten halten und die Massenkultur entweder als Teil der modernen Gesellschaft begreifen oder sogar als demokratische Errungenschaft preisen, plädieren heute dafür, nur mehr die individuellen Anschlußmöglichkeiten an diese oder jene Kultur zu beschreiben.
Der Aufsatz „Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug“, den Adorno in den vierziger Jahren im amerikanischen Exil verfaßt hat, ist längst ein Klassiker, in den zuständigen Seminaren eher berüchtigt als berühmt. Daß die Thesen über Kulturindustrie wahlweise „unterkomplex“ oder „übertrieben“ und auf jeden Fall „kulturkonservativ“ seien, gehört zu den geläufigsten Einwänden. Dieter Prokop hält dagegen, daß die Unzulänglichkeit jener Thesen weniger durch Konsultation „zeitgemäßer“ Theorien als vielmehr mit Adornos eigenen Gedanken zu beheben sei. Der Schlüssel zum Verständnis der Kulturindustriekritik sei mehr als in jenem gleichnamigen Aufsatz in Adornos zahlreichen soziologischen und kulturkritischen Essays sowie vor allem in der „Negativen Dialektik“ zu suchen.
An der kritischen Intention Adornos, die gerüchteweise gern als elitär bezeichnet wird, hält Prokop grundsätzlich fest. Maßstab dafür ist zum einen die Autonomie des Subjekts, an dessen Verwirklichung (oder eben Verhinderung) die proklamierte Freiheit zu messen ist, zum anderen die Qualität der Produkte, für deren Beurteilung sehr wohl Kriterien existieren, die nicht kurzerhand in die Geschmäcker der einzelnen aufgelöst werden können. Selber fragwürdig, meint Prokop, sei Adornos Kritik allerdings dort, wo sie eine Ontologie des falschen Zustands entwerfe und gleichsam die Negation der Negation aus den Augen verliere. Die Unfreiheit der Kulturindustrie beinhalte ihrerseits ein Potential der Freiheit, das eine emanzipatorische Kritik nicht unbesehen dem falschen Ganzen zuschlagen dürfe.
Mit diesem an sich so richtigen wie dürftigen Einwand beginnt der im ganz anderen Sinn kritische Teil des Buches: Warencharakter, Verdinglichung, Verblendung – all die Stichworte, die einem hierzu rasch einfallen, will Prokop nach Adornos eigenem Modell negativer Dialektik in Konstellationen überführen und die selber verdinglichten Begriffe auf diese Weise verflüssigen. Mehr als an Dialektik fühlt man sich jedoch bald an die Semantik von Verflüssigung und Verwässerung erinnert, wenn Prokop die Gelehrsamkeit der Methode zur Schau stellt, bloß um beliebigen Formaten der Kulturindustrie subversive Botschaften oder dem Publikum ein bisher verkanntes Urteilsvermögen anzudichten, weil es zuzeiten aus blankem Schund einen kritischen Gedanken zu ziehen in der Lage sei.
So wenig man die Verästelungen der sogenannten populären Kultur allein mit Begriffen wie Warencharakter erklären kann, so wenig ist anzunehmen, daß Musikvideos oder Fernsehshows, mögen sie auch nach Expertenansicht „gut gemacht“ sein, irgendein Bewußtsein zur besseren Einsicht in Verhältnisse verpflichten, die sich in solcher Kultur treibhausmäßig reproduzieren. Die unbestreitbaren Freiheiten der Kulturindustrie gemahnen eher an Nietzsches Bild des in Fesseln Tanzenden. Die funktionalistischen Systemtheorien, die an der Kultur lediglich die Anschlüsse, das heißt die Organisation von Komplexität zum Zwecke der Stabilisierung von Ordnung, interessieren, haben damit unterm Strich vielleicht mehr recht als jene treuherzigen Bemühungen, der vorhandenen Angebotsvielfalt deshalb schon so etwas wie Freiheit oder sogar ein Widerstandspotential zuzubilligen, das über jene harmlose und häufig nur ersponnene Dissidenz, die übrigens schon zu den besten Argumenten für die Kulturindustrie zählt, hinausginge.
Die Cultural Studies, deren methodischen Relativismus Prokop zu Recht kritisiert, hat er selbst in ihrem Optimismus bereits eingeholt: „Solange beim Publikum das derart Eigensinnige erfolgreicher ist als das Ordentliche, Konformistische“, schreibt er über einen Blödelsong von Stefan Raab, „kann man hoffen“. Aber worauf?
Vielleicht darauf, daß Leute, denen Adorno zu schwer ist, wenigstens den Prokop zur Hand nehmen und so womöglich um das Beste gebracht werden. Schon im Aufbau ähnelt der Text eher einem Lehrbuch als einem theoretischen Traktat. Ob das auf die Bereitschaft auch der nicht-akademischen Öffentlichkeit, solche Bücher zu lesen, ernsthaft rechnen kann, mag dahingestellt bleiben. Festzustellen ist aber, daß der bemüht didaktische Ton keineswegs nur demokratischer rüberkommt als sonst sogenannte abgehobene Texte, sondern ebenso an das autoritäre Schulbankprinzip von Lehrer und Belehrtem erinnert. Ein paar Sätze, die dem Publikum ins Gesicht schlagen – weiß man von Adorno –, können weitaus liebenswürdiger sein, als es Schritt für Schritt zum Licht führen zu wollen.
Dieter Prokop: Mit Adorno gegen Adorno. Negative Dialektik der Kulturindustrie, Hamburg: VSA 2003