Christoph Hesse
Christoph Görg: Regulation der Naturverhältnisse. Zu einer kritischen Theorie der ökologischen Krise
Zur Kritik der politischen Ökologie
Ökologie, früher unter dem Namen Naturschutz ein eher konservatives und in den achtziger Jahren ein Modethema unter Linken, ist heute zumeist noch als Schmuckwort geläufig, das in jedem Gremium Platz findet. Niemand will sich schließlich nachsagen lassen, nicht „umweltfreundlich“ zu sein. Auch die Sozialwissenschaften, die ihre Bücher mittlerweile aus säurefrei gebleichtem Papier herstellen lassen, haben erkannt, daß die Gesellschaft auf etwas angewiesen ist, das weder mit ihr in eins noch als Natur dem sozialen Zusammenhang einfach entgegenzusetzen ist. Niklas Luhmanns Frage, ob sich die moderne Gesellschaft wie auf sonst alle Unwägbarkeiten auch auf ökologische Gefährdungen einstellen könne, aber vor allem: wie sie das bewerkstelligen will, hat Christoph Görg auf 300 Seiten vorläufig beantwortet.
Daß ein Staat sich heutzutage ein Ressort für „Umweltpolitik“ leistet, zeigt, daß die moderne Gesellschaft sich sehr wohl auf ökologische Gefährdungen „einstellen“ kann – ohne indessen mit Maßnahmen wie zuletzt der Einführung von Dosenpfand ein sogenanntes Umweltproblem wirklich in den Griff zu bekommen. Was bisher an umweltpolitischen Veranstaltungen auf den Weg gebracht wurde, hat vielleicht im Bewußtsein vieler Menschen etwas verändert, aber ganz offensichtlich nicht zum angekündigten „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ geführt.
Ökologie wird bis heute etwa wie folgt problematisiert: 1) was Ressourcenentnahme und Schadstoffeintrag in die Umwelt und 2) das unkalkulierbare Risiko im Umgang mit bestimmten Technologien, voran Atomenergie und Gentechnologie, betrifft. Während ökologische Themen mitunter gerne als Anliegen der Menschheit diskutiert werden, erinnert Görg daran, daß das Ganze sehr wohl auch etwas mit Herrschaft und also mit Gesellschaft zu tun hat. Praktisch zeigt sich das daran, daß ökologische Verwüstungen nicht zufällig zuerst die Armutsregionen der Erde heimsuchen, die selber von Weltmarkt und technologischem Fortschritt so gut wie ausgeschlossen sind.
Auch theoretisch hat Ökologie, wie sie Görg vorstellt, etwa mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nur beiläufig zu tun. Eher wäre wie bei jeder anderen Produktivkraft zu fragen, wie dieses Wissen gesellschaftlich vernutzt wird. Die Beherrschung der Natur – eine ebensolche Naturnotwendigkeit menschlicher Existenz – ist bisweilen an eine Form von Rationalität gebunden, die auf Unterwerfung der Natur unter blinde Zwecke abzielt. Diese Rationalität allerdings ist kein genetischer Defekt der Gattung oder Ausdruck des menschlichen Sündenfalls, sondern die Rationalität der kapitalistischen Gesellschaft selbst. Ohne einen Begriff von Gesellschaft wird man auch von deren Umwelt keine verläßliche Vorstellung gewinnen.
Der Ausdruck Naturverhältnisse, den Görg in Anlehnung an den Marxschen Terminus von den Produktionsverhältnissen hier verwendet, erscheint geeignet, das Problem überhaupt einmal zu benennen. Denn weder tritt einfach die Natur dem Menschen gegenüber, sondern die Gesellschaft hat es stets schon mit einer gesellschaftlich bearbeiteten Natur zu tun, noch ist umgekehrt davon auszugehen, daß deshalb so etwas wie Natur in Gesellschaft oder Kultur rückstandslos verschwunden sei. Dem steht spätestens die Erfahrung einer ökologischen Krise entgegen, die dem scheinbar endlos prosperierenden Kapitalismus den Glauben an Steuerung und absolute Kontrolle über die Natur empfindlich verdorben hat. Ein zureichender Begriff von Gesellschaft müßte die Natur in sich einschließen, ohne sie darum in soziale Praxis aufzulösen. Die Natur, so Görg, sei als ein Implikat des Sozialen zu verstehen, die Gestaltung der Naturverhältnisse mithin an die Regulation gesellschaftlicher Verhältnisse gebunden.
Um die bestehenden Möglichkeiten und Zwänge sogenannter Umweltpolitik in etwa bemessen zu können, müssen Naturverhältnisse zunächst als Strukturproblem kapitalistischer Gesellschaften aufgefaßt werden, insofern das Verhältnis der Menschen zu ihrer natürlichen Umwelt je schon in Produktionsverhältnisse eingebunden ist. Ob die Menschen dereinst in Glück und Freiheit und einem – was immer das heißt – vernünftigen Verhältnis zu ihrer Natur leben werden, kann freilich keine Wissenschaft beantworten. Feststellen kann man aber, daß die moderne kapitalistische Gesellschaft eine nur vordergründig rationale Beziehung zur Natur unterhält, die sich bei genauerer Analyse als ein gefährlicher Selbstwiderspruch zu erkennen gibt. Denn das Kapital ist zwar auf die Natur unbedingt angewiesen, die es aber seiner eigenen Logik zufolge, nämlich auf Gedeih und Verderb akkumulieren zu müssen, immer weiter untergräbt. Geht man von dieser besonders grauen, weil leider zuverlässigen Theorie aus, steht zu erwarten, daß demnächst kein Grün mehr wächst.
In der praktischen Politik, die davon lebt, daß es einerseits Probleme gibt, für die aber andererseits immer auch patente Lösungen gefunden werden müssen, hat solches Räsonnement verständlicherweise wenig Platz. Auf die von Görg ausgiebig referierten (und weithin kritisierten) Diskussionen darüber, wie eine mehr oder weniger schonende Regulation der Naturverhältnisse unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen aussehen könnte, sei nur pauschal verwiesen. Wichtiger als Umweltgipfel, deren Resolutionen die Welt auch nicht retten, wenn nicht sogar zur Verklärung von Zuständen beitragen, die für den Großteil der Menschheit jeden Tag schon die Hölle sind, die andere mit umweltfreundlicher Farbe drohend an die Wand malen, ist für den Laien einstweilen die Einsicht, daß mit „nachhaltiger Globalisierung“ und ähnlichem kein Blumentopf zu gewinnen ist.
Bei Schiller ist zu lesen, daß die Menschen „durch Vernünftelei von der Natur abfallen müssen, ehe sie durch Vernunft zu ihr zurückkehren können.“ An solche Dialektik zum Guten glauben noch die wenigsten. Selbst der als Optimist bekannte Engels hat den Ausgang der Geschichte damals schon so vorausgesehen, daß die Erde „als tote Kugel ihren einsamen Weg durch den Weltraum“ nimmt. Es könnte, mit Verlaub, bald so weit sein.
Christoph Görg: Regulation der Naturverhältnisse. Zu einer kritischen Theorie der ökologischen Krise, Münster 2003: Westfälisches Dampfboot