Christoph Hesse
"Zeugenschaft der Toten" – Über Claude Lanzmanns Film "Shoah"
Vortrag mit Filmausschnitten
»Ja, das ist das Platz«, erinnert sich Simon Srebnik, Überlebender des Vernichtungslagers Chelmno, als er zusammen mit Claude Lanzmann an den Ort des Geschehens zurückkehrt, an dessen Stelle inzwischen nur mehr eine recht beschauliche grüne Wiese zu sehen ist; »das kann man nicht erzählen.«
Mit seinem zwischen 1974 und 1985 entstandenen, über neun Stunden dauernden Film Shoah unternahm Lanzmann den Versuch, es doch zu erzählen, es von den Überlebenden erzählen, zeigen, darstellen zu lassen, um dem Zuschauer eine Vorstellung des Unvorstellbaren zu geben, das mit Begriffen wie Shoah oder Holocaust allenfalls benannt werden kann. Auf Archivmaterial, wie es sonst durch jede historische Dokumentation des Nationalsozialismus geistert, hat er dabei vollständig verzichtet. Lanzmann ging es darum, »einen lebendigen Film nur aus der Gegenwart zu machen« – und zwar zu dem scheinbar höchst widersinnigen Zweck, einen Film über den Tod zu machen, der mit Auschwitz zu etwas geworden ist, »was so noch nie zu fürchten war« (Adorno). Der Film, so hat Lanzmann stets betont, handle nicht von Überlebenden. Die Überlebenden in Shoah seien »Sprecher der Toten«.
Christoph Hesse ist Mitarbeiter am Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der FU Berlin. Veröffentlichungen u.a.: Filmform und Fetisch, Bielefeld 2006