Sonja Buckel
Die Rechtsform: ein noch vertrackteres ’Ding’ als die Ware?
Das Verhältnis radikaler Gesellschaftskritik zum Recht ist bestenfalls als ambivalent zu bezeichnen. Dessen enge Verbindung zum Staat, seine Normativität, die Absicherung von Eigentumsverhältnissen, der scheinbar ideologische Gehalt der Menschrechte – all das erzeugt zumindest einen Anfangsverdacht gegenüber dem Recht. Gleichzeitig ist kaum eine soziale Bewegung bekannt, die nicht auch Rechtsforderungen aus sich heraus erzeugt hätte. Insofern trifft Ingeborg Maus durchaus den Kern, wenn sie leicht ironisch zur Frankfurter Schule anmerkt, dass das Recht vielleicht ein „noch vertrackteres Ding als die Ware“ sei. So hatte etwa Adorno das Gehege von Systematisierung, welches die Subsumtion des je Besonderen unter juridische Kategorien organisiere, als das „Urphänomen irrationaler Rationalität“ bezeichnet. Feministische Rechtstheorie weist ein kaum weniger kompliziertes Verhältnis zum Recht auf. Susanne Baer hat den ambivalenten Umgang mit dem Recht deswegen geradezu als ‚feministisches Dilemma’ bezeichnet. Der Kampf um Rechte verstricke sich notwendig in „Rechtsparadoxien“, so dass man bestenfalls darüber sagen könne, sie seien dasjenige, „which we cannot not want” (Wendy Brown).
Während normative Ansätze mit dem Recht eine zivilisatorische Errungenschaft feiern: ein gewisses Potential von Solidarität und die Eindämmung von Gewalt – gilt denjenigen, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse als vermachtete und verwaltete Welt kritisieren und ihre grundlegende Transformation anstreben, genau jene Vorstellung als geradezu naive und oberflächliche Betrachtungsweise. Obwohl die Verstrickung des Rechts in die Aufrechterhaltung bestehender Herrschaftsverhältnisse als sicher gilt, wählen soziale Bewegungen kontinuierlich rechtliche Strategien, etwa Klagen gegen Studiengebühren, gegen die Einschränkung der Demonstrations- oder Reisefreiheit oder als Schutz individueller Freiheiten vor staatlicher Willkür.
Der ambivalente Zugang gesellschaftskritischer Bewegungen zum Recht, ist kein Zufall, kein bloß unentschlossenes Oszillieren, sondern liegt im Phänomen des Rechts selbst begründet: in seiner widersprüchlichen Grundstruktur. Um dieser auf die Spur zu kommen, werde ich zunächst klassische Kritiken des Rechts vorstellen, wie sie sowohl von feministischen und marxistischen als auch postmodernen oder queeren Rechtstheorien vertreten werden. Daran anschließend werde ich vor dem Hintergrund dieser Kritiken eine materialistische Analyse eben jener Grundstruktur vorstellen, um schließlich zu fragen, welchen möglichen Umgang gesellschaftskritische Bewegungen mit dem Recht pflegen können, um aus der ambivalenten Haltung herauszufinden.
aktuelle Veröffentlichung: Sonja Buckel,
Subjektivierung und Kohäsion.
Zur Rekonstruktion einer materialistischen Theorie des Rechts,
Weilerswist 2007